Montag, 24. Oktober 2011

Winterschlaf

Nun sind wir in Kloten gelandet und geniessen vorerst die saubere Schweiz. In unserer Wohnung haben wir Berge vorgefunden - Berge von Post, die sich in den 6 Monaten angesammelt hat. Diese Berge erreichen fast die Höhe vom Himalaja! Also, es gibt viel zu tun, man hat anscheinend nie Ferien…. Unsere Perle, die sich um die Wohnung kümmerte, hat aber sehr gut gearbeitet. Vielen herzlichen Dank. Es ist schön und sehr angenehm nach einer langen Reise in eine saubere Wohnung zurück zu kommen. Bei der Vorstellung, jetzt eine neue Wohnung suchen zu müssen, schaudert es uns regelrecht. So gesehen, war unser Entscheidung, die Wohnung zu behalten, richtig.

Der Flug retour mit Jet Airways war sehr entspannt, was man jedoch vom letzten Stück Mailand - Zürich mit SWISS nicht sagen kann. Über die Alpen hat es uns richtig durchgeschüttet und die Landung musste zweimal versucht werden. Romy hat schon fast eine Panikattake bekommen. Aber das Glück stand auf unserer Seite - ausser, dass mein Rucksack in Mailand nicht weiter transportiert wurde.

Nun sind wir voll beschäftigt: Telefonate, Besuche, Einkaufen, Romy's Auto einlösen usw. usw. Unser treuer Brummi steht jetzt eingepackt auf einen Hotelparkplatz in Kathmandu und wartet bis wir irgendwann im Frühling zurückkommen um unsere Reise fortzusetzen. Über das Wie und Wohin sind wir noch nicht im Klaren - sicher geht es zuerst nach Indien, danach ist aber (fast) alles möglich. Eines ist aber klar - wir wollen den Brummi irgendwann nach Hause bringen.

Nun möchten wir noch ein Geheimnis verraten. Schon in Pamir ist bei den hinteren Spiralfedern je ein Ring abgebrochen. So sind wir dann mit beschädigten Federn über die übelsten Pisten Tibets gefahren, denn eine Beschaffung von Ersatzfedern war nicht möglich. Ich weiss, der Werbespruch von VW ist abgedroschen, aber es stimmt immer noch:

Few things in life works as well as a Volkswagen.

Danke Brummi, Du warst unser Zuhause für fast 6 Monate. Wir konnten uns auf Dich immer verlassen.




Dies wird also der letzte Beitrag für längere Zeit sein, wir wollen uns jetzt in den Winterschlaf begeben. Bevor wir tief einschlafen, möchten wir allen, die uns unterwegs begegnet sind, allen, die uns auf irgendeine Art und Weise unterstützt haben und allen, die zu Hause unsere Reise verfolgt haben, herzlich Danke sagen. Für uns war es eine anstrengende, aber gleichzeitig eine sehr schöne Zeit. Wir freuen uns, dass es im Frühling weiter geht. Und wir freuen uns, wenn ihr wieder, sei es nur virtuell, dabei seid.
Romy & Miro

Montag, 17. Oktober 2011

Letzte Tage in Kathmandu

Wir haben den Flug zurück in die Schweiz gebucht! Am 19. Oktober sollen wir in Kloten landen. Bis dann haben wir freie Tage zur Genüge. Das kommt uns allerdings etwas ungewohnt vor, nach dem Stress in Tibet, wo jede Stunde verplant war. Auch können wir morgens länger ausschlafen. Das heisst aber nicht, dass wir faulenzen, nein, es gibt jede Menge zu tun. Kathmandu hat sehr viele Sehenswürdigkeiten zu bieten, die alle besichtigt werden wollen. Mit dem Taxi natürlich, denn der Verkehr ist etwas mühsam, um es beschönigt zu sagen. Zu Fuss können wir den „Monkey Tempel“ besuchen, er ist nicht weit vom unserem Hotel entfernt. Dort gilt es besonders aufzupassen, denn die Affen sind sehr frech und schon mancher Tourist musste alles Mögliche versuchen, um seinen Rucksack oder auch die Brille wieder zu bekommen.

Eine neue Sitte hat in Kathmandu-Tal Einzug gehalten: um überhaupt in das Stadtzentrum zu gelangen, muss man Eintritt bezahlen und zwar nicht wenig. Dagegen wäre auch nichts einzuwenden, wenn man mit dem Geld die Städte  sauber halten oder sogar Fussgängerzonen schaffen würde. Etwas dergleichen sucht man aber leider vergebens. Wohin das Geld verschwindet kann man nur vermuten.

Wir treffen uns fast jeden Abend mit bekannten Overlandern. Am meisten Freude macht uns das Zusammentreffen mit Jan, Lilian und der kleinen Lola. Wir haben sie vor fast fünf Monaten in der Türkei zum ersten Mal getroffen (siehe unser Blogbeitrag „Baby on Board“). Nun kann die Kleine schon ein paar Schritte alleine laufen und das Reisen macht ihr sichtlich Spass. Den Eltern auch, denn Lola ist ein pflegeleichtes Mädchen. Unsere „Tibet-Gruppe“ ist auch noch da. Christine, Johanna und Fabian haben das Visum für Indien beantragt und das dauert seine Zeit. In Nepal ist jetzt das grosse Ashoi- Fest im Gange, das über eine Woche dauert und jedes Jahr am Ende der Reisernte stattfindet. Die Leute besuchen ihre Bekannten und Verwandten und Tausende von Tieren werden geopfert. Das verursacht ein regelrechtes Blutbad, denn hauptsächlich Ziegen, sie müssen männlich und schwarz sein (in grösseren Tempeln können es auch Wasserbüffel sein) werden alle geköpft.

An einem Morgen herrscht eine ungewohnte Betriebsamkeit auf dem Hotelparkplatz. Alle Autos werden gewaschen und festlich geschmückt. Vor den offenen Motorhauben werden Opfergaben in Form von Bananen, Kokosnüssen, Rauchstäbchen und dergleichen dargebracht. Ein Priester (oder was für eine Funktion der Mann hat) schlägt rohe Eier an die wichtigen Autoteile. Auch Schnaps wird auf die Räder, das Reserverad und die Werkzeuge gegossen. Unser Brummi hat eine Wäsche nötig und so schliesse ich mich dem Ritual an, nach dem Motto: Nützt nichts, schadet es auch nichts. Die Einheimischen haben Freude, dass sich ein Fremder an ihren Bräuchen beteiligt. Nur nehmen sie mir übel, dass ich den Schnaps aus einer bereits angebrauchten Flasche verwende. Ihrer Ansicht nach sollte es eine neue Flasche sein.

Viele Geschäfte sind in diesen Tagen geschlossen und der Verkehrfluss hat merklich nachgelassen. Dies nutzen wir für einen mehrtägigen Ausflug nach Pokhara, einer Stadt an einem See, etwa 200 km von Kathmandu entfernt. Hier ist das Leben nicht so hektisch wie in der Hauptstadt. Wir geniessen die letzten Tage mit Boot fahren, kleineren Wanderungen, Cappuccino mit (fast) echter Scharzwäldertorte und anderen Annehmlichkeiten. Die wirklichen Touristen machen hier natürlich ein Trekking - von einem bis 21 Tage Dauer ist alles möglich. Sehr beliebt sind auch Gleitschirmflüge, manchmal sind über dreissig Flieger am Himmel über Pokhara zu sehen. Es lässt es sich gut leben hier.

Doch die Pflicht ruft: Wir müssen zurück nach Kathmandu. Packen ist angesagt, das Auto einmotten und allen Bekannten adieu sagen. Einige werden wir womöglich später wieder treffen, in Australien vielleicht, wenn wir unsere Reise fortsetzen, oder sonst irgendwo in dieser Welt. Mit einigen bleiben wir in Kontakt, denn es sind Freundschaften entstanden. Ihre Reisen werden wir im Internet von der Schweiz aus verfolgen, wenn wir nun dort Ferien von den Ferien machen. Andere werden wir nicht mehr wieder sehen, denn auch das bringt das Leben mit sich.













Nun freuen wir uns nach Hause zurück zu kehren und wir sind gespannt, was uns dort Neues erwartet.


Samstag, 8. Oktober 2011

Ins gelobte (?) Land

Zhagmu ist die letzte chinesische Stadt vor der Grenze. Die Fahrt dorthin ist wie auf einer Achterbahn. Soeben den letzten 5000 Pass mit schneebedeckten Fahrbahn überwunden, kennt die Strasse nun nur eine Richtung: abwärts. In unzähligen Kurven verliert sie schnell an Höhe. Auch die Landschaft ändert sich schlagartig. Waren die Hänge eben noch braun und kahl, sind sie nun grün. Unzählige Wasserläufe stürzen zu Tal, erste Bäume wachsen neben der Strasse. Es wird wärmer und die Luft feuchter.
Als Folge ausdauernder Regenfälle in den letzten Tagen ist die Strasse an vielen Stellen schwer beschädigt. Riesige Steinblöcke von der Grösse eines PKW’s liegen auf der Fahrbahn. Nicht zu denken, was passieren könnte, wenn man beim Sturz dieser Brocken gerade vorbei gefahren wäre. Die Chinesen halten aber diese einzige Strassenverbindung zu Nepal ganzjährig offen, denn der gesamte Warenverkehr zwischen den beiden Ländern rollt über diese Strecke. Nicht umsonst heisst sie auch „Friendship Highway“. Die Folge davon bekommen wir bald in Form von Lastwagenstaus zu spüren, zuerst sind es die chinesischen, später die nepalesischen. Die grossen chinesischen Laster dürfen nicht nach Nepal (sie würden auf der schmalen Strasse stecken bleiben) und umgekehrt die nepalesischen nicht nach China fahren. Alle Waren werden deshalb in Grenznähe umgeladen. Die Hälfte der ohnehin schon nicht breiten Strasse ist mit parkierten LKWs verstellt, die andere dient dem gesamten Verkehr. Da kann man nur beten, dass kein Gegenverkehr kommt. Zhagmu, die Grenzstadt, erinnert an eine Wildweststadt, alles wirkt irgendwie provisorisch und chaotisch. Einen Parkplatz zu finden ist hier Fehlanzeige, denn die Stadt ist an einem steilen Hang gebaut. Wir verbringen hier unsere letzte Nacht in China. Doch zuerst gibt es noch ein paar spannende Momente. Schafft es Christine bis zum Abend zu kommen damit wir morgen zusammen ausreisen können?

Kurz vor Einbruch der Dunkelheit kommt der Landrover an. Christine hat es in nur zwei Tagen geschafft von Lhasa bis hierher zu fahren. Die neue Dieselpumpe arbeitet tadellos und die Gruppe ist wiedervereint. Das feiern wir mit dem letzten gemeinsamen Abendessen zusammen mit unserem Guide.

Am nächsten Morgen geht es die letzten acht Kilometer zur Grenze. Habe ich schon geschrieben, dass die Strasse vollkommen mit Lastwagen verstopft ist?!? So schaffen wir es nicht mehr vor der Mittagpause durch die Grenzabfertigung zu kommen. Das ist aber wirklich das letzte Hindernis auf unserem dornigen Weg durch Tibet. Nachdem die Beamten gestärkt sind, geht es sehr schnell, der Ausreisestempel ist im Pass und wir dürfen vorbei am salutierenden Grenzsoldaten über die Freundschaftsbrücke fahren. Doch Halt, in der Mitte der Brücke müssen wir die Strassenseite wechseln, in Nepal fährt man ja links! Die Formalitäten an der Grenze in Nepal sind erstaunlich einfach und schnell. Das Visum wird für 40 USD in den Pass geklebt, das Carnet für das Auto abgestempelt, fertig - wir dürfen weiterfahren.

Bald merken wir, dass wir nun in einem ganz anderen Land sind. Die Strasse ist durch viele Erdrutsche unterbrochen, die nur mühsam auf provisorischen Pisten zu umgehen sind. Während der langen Jahre des Bürgerkrieges mit den Maoisten hat die Regierung kein Geld in den Strassenunterhalt investiert, der Zustand spricht für sich. Es wird klar – heute erreichen wir Kathmandu nicht mehr, obwohl es von der Grenze nur 120 km sind. Am nächsten Tag ist es so weit.

Das Ziel liegt nach fünf Monaten und fast 24’000 km vor uns unter einer Smogglocke – Kathmandu, die Stadt von der schon Generationen von Hippies in den Sechziger und Siebziger Jahren geträumt haben. Auch ich stand 1973 schon da, die Stadt, die damals noch ein Dorf war vor meinen Augen.

Heute ist alles anders, die Stadt ist ein Moloch geworden, sie platzt aus allen Nähten, der Verkehr erstickt an sich selbst. Und ich mache einen entscheidenden Fehler. Ich gebe in das GPS Gerät die Adresse des Hotels ein, wo wir im Garten stehen wollen und lasse mich dorthin führen. Leider ist bekanntlich der direkte Weg nicht immer der Schnellste. So komme ich in die Altstadt, wo die Gassen kaum breiter als unser Auto sind. Ausserdem bekommt das GPS wegen den hohen Häusern bald keinen Satellitensignal mehr und ich stehe da, ohne zu wissen, wo ich mich befinde. Ein Zurück gibt es nicht, es gibt kein Platz, wo ich kehren könnte und rückwärts fahren ist auch unmöglich, es ist viel zu eng. Dann setze ich dem Ganzen noch die Krone auf, indem ich in eine nicht gekennzeichnete Einbahnstrasse einbiege. Auch sie ist so eng, dass ein Kreuzen nur an wenigen Stellen möglich ist. Wieder einmal rettet Romy die Situation, sie läuft jeweils etwa 200 Meter voraus und hält mit Körpereinsatz den Gegenverkehr an, damit ich die engen Passagen durchfahren kann. Mühsam bewegen wir uns vorwärts, heute sind wir die Attraktion von Kathmandu. Ich höre nur eine Bemerkung von vorbei gehenden Touristen: „Die sind aber mutig“. Mutig ist gut, eher dumm ist zutreffend. Aber irgendwie schaffen wir es nach Stunden wirklich bei dem Hotel anzukommen - mit der Erkenntnis, dass es nicht immer ratsam ist, sich auf die modernste Technik zu verlassen.

Noch ist unsere Gruppe zusammen aber bald trennen sich unsere Wege. Nuria fliegt nach Hause, Fabian und Johanna wechseln in ein Hotel, das dem Stadtleben näher ist. Und in Katmandu herrscht wirklich das Leben. Im Stadtteil Thamel gibt es alles, was die westlichen Touristen angeblich brauchen. Wir selber sind beschäftigt einen sicheren Platz für den Brummi zu finden. Dann buchen wir den Flug in die Schweiz. Wir werden dort Ferien von unserem Urlaub machen. Nun haben wir Zeit und Musse uns etwas zu erholen, die Sehenswürdigkeiten Kathmandus ausgiebig zu besichtigen und alle Annehmlichkeiten der Stadt, die von den meisten Overlandern als das gelobte Land gepriesen wird, zu geniessen.

Samstag, 1. Oktober 2011

Das Finale mit Tücken

Nun ist es klar, die Agentur hat entschieden und die Gruppe darf geteilt werden. Christine muss in Lhasa bleiben und warten, bis die Dieselpumpe aus Deutschland eintrifft.
Dann, nachdem das Auto wieder fahrbar ist, fährt sie mit einem zweiten Führer direkt zur Grenze. Romy und ich, mit Johanna und Fabian, dürfen das vorgesehene Programm fortsetzen, welchem wir allerdings bereits zwei Tage hinterher hinken. Das heisst, jetzt sind wir nur noch zwei Fahrzeuge, (der 2. Landrover ist nach Laos weiter gereist) der blaue und der orange Bus. Dies ist, wie wenn ein Lahmer mit einem Blinden zusammen spannt, denn während unser Bus 24 Jahre alt ist, ist der Blaue noch 3 Jahre älter. Aber was soll es, wir fahren aus Lhasa - auf der einzigen Autobahn Tibets - zum Flughafen und weiter zum Kloster Samye. Von der Autobahn biegen wir etwas später auf eine üble Piste ab. Und bald macht sich das Alter beim blauen Bus bemerkbar. Was zuerst als kleiner Schaden aus sieht – ein gerissener Keilriemen – entpuppt sich bei näherem Hinsehen als eine abgerissene Motoraufhängung. Wir fixieren den Motor behelfsmässig mit Spanngurten, Kabelbindern und Abschleppseil. Es ist klar, der blaue Bus muss zurück nach Lhasa zur Werkstatt. Inzwischen ist es dunkel geworden. Wir setzen unsere Fahrt zum Kloster fort mit dem Wissen, dass wir den beschädigten Bus morgen in den Schlepp nehmen müssen, falls er es nicht mit eigener Kraft nach Lhasa schafft. Jetzt geht es nur noch mit unserem Auto weiter. Ein Höllenritt beginnt: Dunkelheit, eine brutale Piste und ein Gewitter sind nun unsere Begleiter. Geschwindigkeit kaum 20 km/h, Sicht kaum ein paar Meter. Der starke Rückenwind treibt unsere eigene Staubfahne vor das Auto, Wir kommen uns verloren vor - in einer rabenschwarzen Nacht - wie ausgestossen. Um 11 Uhr erreichen wir todmüde, aber erleichtert das Kloster.

Der nächste Tag ist viel besser. Zuerst erreicht uns die Nachricht, dass Johanna und Fabian in Lhasa sind. Für uns bedeutet das, dass wir die schlechte Piste nicht noch einmal zurück fahren müssen. So können wir das Kloster in Ruhe besichtigen. Romy mit dem Guide das Innere, wo gerade eine eindrückliche Zeremonie stattfindet, ich besteige einen Hügel in der Umgebung, um das Kloster von oben fotografieren zu können. Die ganze Klosteranlage ist in Form eines übergrossen Mandalas gebaut und das kann man nur von oben sehen.

Die zweite gute Nachricht des Tages – der Schaden am blauen Bus ist überraschend schnell repariert, wir können das Programm wie geplant fortsetzen! Nun heisst es zum vereinbarten Treffpunkt beim Flughafen zu fahren, wo nach einer kurzen Wartezeit der blaue Bus auch wirklich erscheint.

Der nächste Höhenpunkt ist das Mt. Everest Base Camp. Der Tag beginnt mit Regen, der, je höher wir kommen, in Schnee übergeht. Ich habe schon zur Genüge über schlechte Pisten und Strassen gejammert, aber diese gehört wirklich zu der allerschlechtesten Sorte. Es geht über einen 5100 hohen Pass, dann schneit es und Schneematsch verdeckt die Löcher. Die Sichtweite beträgt an die 300 Meter. Ich murmle nur: „Das war keine gute Idee“, denn man fährt ja hierher um den Mt. Everest zu sehen? Sehen kann man aber nur tief hängende Schneewolken.

Am nächsten Morgen ist der Schneematsch hart gefroren, die Busfenster von Innen mit einer dicken Eisschicht überzogen. Draussen aber scheit die Sonne und der Mt. Everest zeigt sich in voller Pracht - ohne eine einzige Wolke. Die letzten 8 km bis zum Base Camp sind für Fahrzeuge gesperrt, nur ein Shuttlebus fährt dorthin. Heute aber verkehrt er wegen der dicken Schneeschicht und vereisten Strasse nicht. Also laufen wir durch den frisch gefallenen Schnee. Im Sonnenschein stehen wir auf einem Hügel oberhalb des Kamps, wir vier, inzwischen verstehen wir uns ganz gut, und bewundern die weisse Pracht vor unseren Augen. Wir sind hier alleine, weiter darf kein Tourist gehen. Stille rund um uns, nur die Gebetsfahnen flattern in der klaren Luft. Der Berg steht wie ein König aus Eis vor uns und scheint gar nicht so uneinnehmbar. Sind wir Glückspilze, so ein Augenblick kommt hier nur ganz selten vor…

Auf der Weiterfahrt nehmen wir eine Abkürzung. Es war uns schon klar, dass eine Abkürzung selten besser ist als der Hauptweg. So ist es auch hier. Um es kurz zu machen – der blaue Bus bleibt im Schlamm stecken und als ich ihn rausziehen will grabe ich mich auch noch ein. Wir sind 5000 Meter hoch, jede körperliche Anstrengung bereitet Mühe und Atemnot. Wie kriegen wir die Autos wieder heraus? Ich sehe unseren Guide verzweifelt in Stille zu allen Schutzgottheiten Tibets beten. Und wirklich, sein Gebet wird bald erhört. Die Hilfe kommt in Gestalt eines Toyota Landcruisers mit chinesischen Touristen (welche Ironie des Schicksals). Es dauert nicht lange und unsere Fahrzeuge stehen wieder auf festen Boden. Die ganze Aktion wird durch klicken der Kameras der chinesischen Touristen begleitet, denn eine solche zusätzliche Attraktion erleben sie nicht jeden Tag. Wahrscheinlich sind wir schon morgen in einem chinesischen Facebook, falls es so etwas gibt. Sie sind glücklich uns geholfen zu haben, wir sind glücklich, auf sicherem Boden zu stehen. Freundlich dankend verabschieden wir uns gegenseitig. So festigt man die Freundschaft zwischen den Völkern! Die Weiterfahrt bringt noch ein paar „Problemchen“ aber wir schaffen es und sind stolz bis zum unserem heutigen Ziel gekommen zu sein.

Der vorletzte Tag in Tibet. Viele Fragen sind noch offen. Schafft es Christine die Pumpe rechtzeitig einzubauen und hierher, nach Zhagmu, dem Grenzort zu Nepal, zu kommen, damit wir morgen gemeinsam ausreisen können? Müssen wir vielleicht in diesem gottverlassenen Ort tagelang auf sie warten? Eins ist gewiss – Fortsetzung folgt.

Donnerstag, 22. September 2011

Lhasa – Traum oder Alptraum?

Nun sind wir nach fünf Monaten und 22'000 abgespulten Kilometern in Lhasa angekommen. Das Zwischenziel ist erreicht. So weit, so gut. Es wäre eigentlich ein Grund zum Feiern. Allerdings habe ich mir unseren Einzug in die Stadt etwas anders vorgestellt. Irgendwie feierlich, mit Blumen, Festreden, einem Begrüssungskomitee, Boden küssen usw. usw. Doch die Wirklichkeit ist anders, etwas surrealistisch würde ich sagen. Unser kleiner Brummi mit eingeschalteten Warnblinkern und hinten am Seil einen viel grösseren Landrover von 2,5 Tonnen ziehend, schlängeln wir uns mitten durch den Abendverkehr auf der hell erleuchteten Prachtstrasse am Wahrzeichen der Stadt - dem berühmten Potala Palast - vorbei. Ich bin müde und es ist mir nicht nach Jubel zumute. Rückblende: Es hat schon am Morgen angefangen. Nachdem es sich endgültig gezeigt hat, dass die Dieselpumpe an einem der Fahrzeuge unserer Gruppe nicht zu reparieren ist, blieb uns nichts anderes übrig als das Auto auf einen Lastwagen zu verladen, um es etwa 300 km nach Lhasa zu bringen. Vor Lhasa mussten wir das Auto mangels einer Rampe in einer Kiesgrube bei voller Dunkelheit abladen (eine Aktion, die mir auch heute noch alle Haare zu Berg stehen lässt) und die restliche Strecke von 14 km zum Hotel abschleppen, da die Stadt für Lastwagen gesperrt ist.

Am nächsten Morgen geht das Programm weiter. Die Stadtbesichtigung ist angesagt. Wir waren hier vor vielen Jahren aber wir können die Stadt nicht wieder erkennen. Fast alle alten Häuser wurden abgerissen und durch moderne Bauten ersetzt. Lhasa ist eine moderne chinesische Stadt geworden. Nur der Potala trohnt auf seinem Hügel wie zurzeit als Tibet noch unabhängig war. Doch drinnen ist alles anders. Aus den Mönchen sind nun Staatsangestellte geworden. Früher nur Ausgewählten zugänglich, ist heute der Ansturm der, vor allem chinesischen Touristen, so gross geworden, dass man viele Tage im Voraus einen genauen Termin reservieren muss. Ist man dann ein paar Minuten zu spät, kann man den Palast nur von aussen anschauen. Vielleicht ist es sogar besser, denn Innen ist er zu einem Museum umfunktioniert worden. Schön zwar, aber nicht lebendig. Eine Frage kommt auf: wird je ein Dalailama hier den Sitz einnehmen können?

Die Chinesen haben die Stadt fest im Griff. Stark bewaffnete Militärpatroullien zirkulieren durch die Strassen. Polizei und Überwachungskameras sind an jeder Ecke. Fotografieren in unerwünschte Richtung kann unangenehme Probleme verursachen. Unbegreiflich, wovor die chinesische Regierung soviel Angst hat. Sie investiert viel Geld in Tibet, sehr viel Geld sogar. Strassen werden gebaut, Eisenbahnen, Schulen, Spitäler und Häuser. Klar, ohne die Chinesen wäre Tibet eines der ärmsten Länder der Welt und auf Entwicklungshilfe angewiesen. Doch bekanntlich lässt sich nicht alles mit dem Geld kaufen.

Wir besichtigen Klöster in der Umgebung der Stadt. Überall das gleiche Bild: Mit Regierungsgeldern werden die Klöster aufgebaut und renoviert (welche bei der Kulturrevolution zerstört wurden), die Mönche bekommen den Lohn vom Staat. Dafür wird Loyalität erwartet. Zuckerbrot und Peitsche, nennt sich das. Die Pilger und Tibeter sind schon längst eine Minderheit geworden. Das Bild beherrschen die Touristen. Trotz einem hohen Eintrittsgeld kommen sie in grossen Scharen. Vor allem sind es Chinesen, die mit der neuen Lhasa – Bahn anreisen. Die Geschäftsleute, auch sie vor allen Chinesen, freut es. In Lhasa bekommt man alles, die teuersten Weltmarken sind hier vertreten. Die Preise sind höher als in Europa, aber es scheint niemanden zu stören. Zwischen dieser Glitzerwelt irren ein paar verängstigte Pilger vom Land, die ungläubig schauen, was aus ihrer heiligen Stadt geworden ist…

Unser weiteres Schicksal ist ungewiss. Die Dieselpumpe musste in Deutschland geordert werden, nachdem die Suche in ganz China ergebnislos verlaufen war. Bis sie geliefert wird könnten ohne weiteres zehn Tagen vergehen. Laut Programm muss die ganze Gruppe gemeinsam am 29. September nach Nepal ausreisen. Sie darf angeblich nicht getrennt werden. Wie das alles unter einen Hut zu bringen ist steht noch in den Sternen oder besser in den Amtstuben der chinesischen Behörden. Wie es scheint, bleibt unsere Tibetreise bis zum Ende spannend (und sehr anstrengend).

Donnerstag, 15. September 2011

Vergangenes Königreich, heiliger Berg und Atemnot

Unser Weg führt uns ausnahmsweise in eine etwas tiefer gelegene Gegend. Über einen 5000-er Pass kommen wir nach Tsada, einer kleinen Stadt, die auf etwa 3700 Meter liegt. Die Landschaft, die hier der Fluss Sutlej in uralte Sedimente eingegraben hat, ähnelt dem Grand Canyon. Zwar ist er nicht so tief, aber in der Vielzahl und Verschiedenheit der Formen ebenbürtig.
Und auch die Geschichte hat hier ihre Spuren hinterlassen. Hier in der Nähe lag das berühmte Königreich von Guge. Ein Berg, einsam in einer Ebene über dem Fluss gelegen, beherbergte die Hauptstadt des Reiches. Unzählige Wohnhöhlen, Gebäude und Tempel hat man damals in den Berg gegraben. Vor allem aber Treppen. Bis wir an den Gipfel gelangen, wo der Königpalast steht, müssen wir etliche Treppen überwinden und viele Pausen einlegen und immer wieder geduldig warten bis unser Puls in normale Höhen zurückkehrt. Der Königspalast wurde neu errichtet nachdem die Roten Garden während der Kulturrevolution alles dem Boden gleich gemacht hatten, eine Zerstörungswut, die aus heutiger Sicht unbegreiflich erscheint. Jetzt gibt die chinesische Regierung viel Geld aus, um das Zerstörte wieder aufzubauen. Erstens, weil der Tourismus eine gute Geldquelle ist, und zweitens, um der ganzen Welt zu dokumentieren, wie gut sie sich um die Minderheiten sorgt. Ja, leider sind heute die Tibeter eine Minderheit in ihrem eigenen Land. So wird fleissig an den alten Tempeln gebaut. Meistens wird aber nur das Äussere hergestellt, für den Innenausbau fehlen schlicht die Handwerker und Künstler.
Nach einigen Hundert Kilometern Weiterfahrt erscheint am Horizont plötzlich ein Berg. Es ist nicht irgendein Berg, es ist der heilige Berg Kailash. Den Tibetern und den Indern gleichermassen heilig, wird er von mehreren Religionen als der Mittelpunkt der Welt betrachtet. Um den Berg, der wegen seiner Heiligkeit nicht bestiegen werden darf, führt ein dreitägiger Pilgerweg, Kora genannt. Auch wir wollen uns den vielen Pilgern auf ihrem Weg anschliessen, einem Weg, der es in sich hat. Zwar sind die Tagesetappen mit 20 Kilometer nicht all zu lang, doch die Höhe macht es. Der Ausgangspunkt in einem kleinen Ort Darchen liegt auf 4560 m, der höchste Punkt am Pass Drölma La gar auf 5636 m. Früh am Morgen geht es los. Zuerst ist der Weg ganz harmlos, langsam ansteigend in einem Flusstal. Nur das Wetter spielt nicht mit, es regnet leicht und der heilige Berg hüllt sich in Wolken. Am späten Nachmittag erreichen wir ein Kloster, dem ein Gästehaus angegliedert ist. Dort bekommen wir ein schäbiges Sechserzimmer, kalt und mit schimmeligen Wänden. Ich wage zu behaupten, dass nur eine kleine Prozentzahl der Leute, die wir kennen, hier freiwillig übernachten würde. Es gibt aber nichts Besseres. Einzige Alternative ist das Zelt. Doch im starken, kalten Wind und Regen ist es wirklich keine Alternative. Zum Ersten Mal ist unsere Gruppe unter einem Dach vereint. Auch das „Restaurant" des Gasthauses bietet nicht viel: chinesische Standardnudelsuppe (heisses Wasser eingiessen, fünf Minuten warten, fertig, essen) oder gebratener Reis mit Eiern. Waschgelegenheit bietet einzig der eiskalte Bach. Mit Berichten über die 50 Meter entfernte Toillete verschone ich die Leser lieber. Am nächsten Tag gibt es kein Frühstück, denn die Wirtsleute schlafen noch als wir aufbrechen. Unsere Gruppe hat sich aufgeteilt in Fussgänger und Berittene. Romy, Christine und Nuria werden wegen den zu erwartenden Widrigkeiten den Weg auf dem Pferderücken bewältigen; ich, Johanna, Florian, Bianca und Fabian zu Fuss. Heute geht es über den Pass und der Aufstieg beginnt gleich nach dem Gasthaus. Meter um Meter steigen wir, nein, wir kämpfen uns hoch. Mit zunehmender Höhe wird der Atem kürzer und die Pausen länger. Trotzdem bekommt der Körper nicht so viel Sauerstoff wie er braucht. Wir haben zwar als eine Sicherheitsmassnahme jeder eine Sauerstoffflasche bekommen, die wie eine grosse Spraydose aussieht und sehr leicht ist. Ob sie im Notfall helfen würde? Allein die Anwendungsanleitung in Chinesisch stimmt schon bedenklich. Die indischen Pilger haben noch mehr Probleme, da sie nicht genug akklimatisiert sind. Auf dem Weg liegen unzählige Ampullen von einem, wie wir vermuten, Aufputschmittel, das sie verwenden. Keuchend beginne ich Romy um ihren Ross zu beneiden. Immer wieder meine ich, der Pass liege schon in Sichtweite, doch es geht weiter hoch und noch höher. Die Schönheit der Bergwelt um mich herum kann ich kaum wahrnehmen. Zehn Meter, ein Stein, wo ich absitzen kann, und lange, sehr lange atmen, bis sich der Atem und Herzschlag normalisiert haben. Dann weiter, die nächste zehn Meter. Anderen Pilgern geht es nicht besser. Nur Fabian läuft unbeschwert als ob es sich um eine Wanderung auf den Uetliberg handeln würde. Natürlich beneide ich auch ihn, aber er ist um 35 Jahre jünger. Endlich markiert ein Meer von Gebetsfahnen den Scheitelpunkt des Passes. Die Pilger lassen hier ein Stück von ihrer Kleidung oder wenigstens eine Haarsträhne liegen. Ihnen bringt diese Wanderung das Nirwana ein Stück näher. Vielleicht auch uns? Wer weiss? Der Abstieg ist steil, doch muss man nicht mehr mit der Atmung kämpfen. Auch Reiter müssen vom Pferd absteigen und zu Fuss laufen, denn der Abstieg ist zu gefährlich. Dann laufen wir noch 13 Kilometer in einem Tal, leicht absteigend, bis zum nächsten Gasthaus. Dort geht es uns genau gleich wie in dem Ersten. Kein bisschen besser, nur die Reisportionen sind etwas grösser. Der dritte und letzte Tag ist dagegen leicht. Nur etwa 12 Kilometer und wir sind zurück beim Ausgangspunkt. Doch die Beine sind schwer und die Kilometer ziehen sich in die Länge. Endlich sehen wir das Dorf hinter einer Talbiegung. Mit einem üppigen Essen beschliessen wir diese Pilgerwanderung, die bis an unsere Grenze und teilweise darüber hinausgegangen ist. Nun fahren wir zum Manasarovar See, wo ein Erholungstag geplant ist. Leider kommen wir dort wegen einer Panne am Landrover von Christine erst bei Dunkelheit an. Das ersehnte Duschen müssen wir auf Morgen verschieben. Umso mehr geniessen wir dann die heissen Quellen, die es beim See gibt. In einem grossen Holzbottich voll heissen Wassers vergessen wir die Strapazen der letzten Tage schnell. Wie neugeboren steigen wir aus dem herrlich warmen Wasser aus. Bereit für nächste Herausforderung...

Montag, 5. September 2011

Über Stock und Stein

Nun sind wir seit kurzem in China. Nach ein paar Tagen Stadtleben in Kashgar geht es los. Wir haben einen Guide, welcher aber nur für diese Provinz zuständig ist. Er bringt uns nach Yecheng, einer grösseren Stadt, wo uns der nächste Guide für Tibet erwartet.
Bevor wir weiter fahren können, müssen wir einen Tag auf einem trostlosen Hotelparkplatz verbringen. Man muss wissen, dass die Strasse, der wir nun folgen werden, neu gebaut wird. Da die Chinesen nicht kleinlich sind, erwartet uns eine Baustelle von 700 km Länge, so wird uns gesagt. Am Ende werden es ganze, Romy hat es genau aufgeschrieben, sage und schreibe 930 km sein. Aber der Reihe nach. Wir müssen warten (auf dem Hotelparkplatz), denn die Strasse wird für den normalen Verkehr nur an drei Tagen im Monat geöffnet. Dann dürfen wir! Und es wird bald klar, was unseres Brot für die nächsten 5 Tage sein wird: eine Piste von der übelsten Sorte, Flussdurchfahrten ohne Brücken, Löcher, gewaltige Steigungen ohne Ende, Steine jeder Grösse, Staub, Schlamm, Wellblech und alle möglichen Widrigkeiten. Vor allem die Höhe macht Mensch und Auto zu schaffen. Denn sehr bald ist der erste Pass mit 5200 Meter erreicht und es folgen weitere, nicht minder hohe, der höchste davon über 5400 Meter. Es geht auch immer wieder hinunter, jedoch nie unter 4500 Meter. Erste Höhenbeschwerden machen sich bemerkbar, vor allem Kopfweh und Schlaflosigkeit. Für den schlimmsten Fall haben wir zwei Sauerstoffkissen bekommen. Sie sind zwar recht gross, aber wie lange der Sauerstoff im Notfall reichen würde wagen wir gar nicht zu fragen. Doch ertragen wir die Höhe besser als erwartet, vielleicht dank der Akklimatisation im Pamir. Wegen der Höhe verlieren die Motoren an Leistung. Sehr oft müssen wir stundelang im ersten oder im zweiten Gang fahren. Der Benzinverbrauch schnellt in noch grössere Höhe als wir uns befinden. War der Durchschnittsverbrauch in der Schweiz um die 12 Liter, sind es hier glatt 10 Liter mehr. Wir müssen Benzin nachkaufen, da unsere Kalkulation mit 15 Liter weit hinter dem wirklichen Verbrauch liegt. Es gibt aber keine Tankstellen, Benzin kann man nur bei Privaten kaufen. Sie verlangen aber Fantasiepreise für eine fragwürdige Qualität, denn sie wissen all zu gut, dass man keine Alternative hat, wenn man das Benzin braucht. Lieber verkaufen sie nicht, jedes Handeln ist zwecklos. Ausserdem stimmen die angegeben Mengen nie mit der Wirklichkeit überein, was zu wüsten Diskussionen Anlass gibt.
Für das alles entschädigt uns die Landschaft. Wunderschöne Berge in allen Farbschattierungen, teils mit Schnee bedeckt, weitläufige Täler, Flüsse, die ihren Lauf noch selber wählen können und Wolken, die fantastische Gebilde am Himmel zeichnen. Nun darf der Fahrer die Schönheit der Landschaft nur in den kurzen Fahrpausen geniessen, denn wenn er nur für einen kurzen Augenblick die Augen von der Piste lässt, kommt garantiert ein tiefes Loch oder ein Stein. Habe ich früher über schlechte Strassen in Tadschikistan geschrieben, muss ich mich nachhinein entschuldigen. Das hier übersteigt alles bei Weitem. Vor allem der blaue VW von Johanna und Fabian hat Mühe, er hat nur Zweiradantrieb. Einige Male bleibt er in einem Fluss stecken, die starken Landrover müssen ihn dann herausziehen. Auch einige Steigungen packt er nicht. Das kostet alles viel Zeit, unser Durchschnitt ist kaum 20 km pro Stunde. Bald hängen wir dem Zeitplan hinterher. Dazu kommt noch eine unerwartete Strassensperre. Fast den ganzen Tag stehen wir von einem Erdwall, erst gegen Abend kommt ein Radbagger und macht den Weg frei.
Viele Tausend chinesische und tibetische Arbeiter sind unter erbärmlichen Bedingungen am Bau beschäftigt. Alle paar Kilometer steht ein Baukamp, wo die Arbeiter in grossen Zelten leben, kein Komfort in 5000 Meter Höhe. Klar gibt es Maschinen, aber sehr viel wird noch von Hand gemacht.
Wir kämpfen uns vorwärts, Kilometer um Kilometer. Dann endlich – ein Pass, behangen mit Gebetsfahnen. Jetzt sind wir in Tibet. Freude herrscht, Fotos werden gemacht. Aber äusserlich hat sich nichts geändert, die Landschaft ist gleich schön, die Piste gleich schlecht. So geht es Tag um Tag. Unterwegs kann man nichts kaufen, vom Duschen nur träumen. Es gilt nur eines, vorwärts kommen. Jeden Tag sind wir 10 bis 12 Stunden am Steuer. Nicht zu denken, wenn hier eine Panne passieren würde. Unser Guide fährt abwechselnd in einem der vier Fahrzeuge mit.
Doch, wie man sagt, alles hat ein Ende. Nach 930 km und fünf Tagen liegt - wie eine Fata Morgana - ein perfekter Asphalt vor uns. Wir möchten aussteigen und den Belag küssen. Der Brummi schwebt gerade, so kommt uns es vor. Wir fliegen! Wir haben das Übel besiegt. Obwohl wir wussten, dass die Pisten schlecht sind, müssen wir im nach hinein sagen, dass wir die Schwierigkeiten unterschätzt haben. Mensch und Material kamen auf diesem Schreckensabschnitt an ihre Grenzen und wie schätzen uns glücklich, dass es alle – so scheint es im Moment – heil überstanden haben.
Im Moment sind wir in Ali. Die Stadt auf der Karte zu suchen ist relativ schwierig, denn sie hat etwa fünf verschiedene Namen. Hier gibt es (fast) alles. Für uns ist die Dusche am wichtigsten. Alles hier ist fest in chinesischer Hand, Tibeter sind bald in der Minderheit. Zuerst lassen wir die Fahrzeuge waschen damit die ursprüngliche Farbe zum Vorschein kommt und alles wird gecheckt und wenn nötig repariert. Es gibt ein Internetcafe, hier Internetbar genannt, ein Bazar und mehrere Supermärkte. Wir kaufen ein und bunkern Wasser. Nun sind wir bereit für die nächsten Abenteuer.

Ps. Vielen Dank für das Echo. Ich bin sehr froh, dass dieser Weg, im Blog neue Beiträge zu veröffentlichen, funktioniert, wenn leider auch ohne Bilder. Im nächsten Reiseabschnitt wollen wir den heiligen Berg Kailash zu Fuss umrunden (drei Tage über einen Pass von 5600 Metern). Wir werden wahrscheinlich lange ohne Internetzugang sein.
Wir grüssen herzlichst unsere treuen Leser und entschuldigen uns, dass es nicht möglich ist, uns bei allen persönlich zu bedanken.
Romy und Miro

Montag, 29. August 2011

Im Inneren des Imperium

Wir sind in China eingereist, hurra, wir haben es geschafft und wir sind überglücklich! Allerdings müssen wir klar sagen, dass es nicht unser Verdienst ist, sondern einfach nur Glück. Vielleicht haben auch Silvias aufmunternde Worte mitgeholfen, dass es trotz allen Befürchtungen doch noch geklappt hat.

Ja, wir sind im „Reich der Mitte" wie es heisst, oder im Imperium, wie wir es nennen, angekommen. Es war eine Zitterpartie bis zum Schluss, denn nie weiss man, was den chinesischen Behörden über Nacht einfällt. Wie es genau weiter geht, wissen auch noch nicht, aber wir sind drin und das zählt!

Wir, das sind drei Fahrzeuge, ein Landrover gefahren von Christine und Nuria aus Deutschland und zwei VW Busse T3, gefahren von uns und von Johanna und Fabian aus Davos. Pathetisch gesagt, das Schicksal hat uns zusammengeführt und wir sind nun für die nächsten 35 Tage miteinander verbunden. Das Schicksal spielen auch hier wiederum die chinesischen Behörden, die für Autoreisende einen Führer vorschreiben. Und da niemand ohne einen Führer reisen darf, sind wir aufeinander angewiesen, um nicht zu sagen angekettet, denn er wird abwechslungsweise in einem von unseren drei Autos mitfahren.

Ein Tag vor der geplanten Einreise treffen wir uns bei der Karawanserei Tash Rabat in Kirgistan, etwa 100 km von der chinesischen Grenze entfernt. Das letzte Mal kampieren wir unweit einiger Jurten, inmitten der kirgisischen Berge. Am Abend fahren wir noch näher zum Grenzübergang, damit wir dort am Morgen frühzeitig sind. Die Rüttelpiste erlaubt kaum eine Geschwindigkeit die über 30 km/h geht. Eine kalte Nacht steht bevor, immerhin sind wir 3400 Meter hoch.

Früh am Morgen stehen wir an der Schranke, zusammen mit etwa 15 chinesischen Lastwagen. Und wir stehen lange, denn erst wenn unserer Führer an der chinesischen Seite der Grenze ankommt, geben die Chinesen das Einverständnis und die Kirgisen beginnen mit unserer Abfertigung. Sie geht relativ zügig voran, braucht aber doch mehr Zeit als sonst, da wir nun sechs Personen sind. Zwischen den Grenzposten liegt etwa 7 km Niemandsland. Als letzter Gruss von Kirgistan erreicht uns noch ein heftiger Hagelschauer gefolgt von einem Regenbogen. Ob das ein guter Ohmen ist?

Dann die Grenze. Ein silbrig glänzender Tor bewacht von einem stramm stehenden Soldaten. Unserer Führer kommt uns entgegen und begrüsst uns herzlich. Er ist ein Uigure namens Musa. Seine ersten Amtshandlungen: unsere Pässe und GPS Geräte einsammeln, dann fahren wir 5 km zum ersten Checkpoint. Was dort gecheckt wird entzieht sich unserer Kenntnis, das erledigt der Guide. Die wirkliche Abfertigung erfolgt erst nach 100 km Fahrt. Dort werden zuerst die Fahrzeuge in einer Schleuse desinfiziert. Das erscheint uns lächerlich, die Autos sind von unten bis aufs Dach mit Schlamm bespritzt und total verstaubt, dem wirklich letzten Gruss von Kirgistan. Darum kann es gar nicht nützen, kostet aber 5 $.

Der Terminal ist modern, es gibt sogar Automaten, die unsere maschinenlesbaren Pässe entziffern können. Nach den neuesten Vorschriften darf man keine Lebensmittel nach China einführen. Wir haben es nicht gewusst und mit dem letzten kirgisischen Geld noch gross eingekauft. Was jetzt? Wir unterschreiben eine Deklaration, dass wir keine biologischen Produkte mitführen und bereiten schon diverse Ausreden vor. Doch die Beamten interessieren sich nur für Motoren- und Chassisnummer.

Wir dürfen nun offiziell das grosse Reich betreten und sind plötzlich in einer anderen Welt. Überall neue Gebäude, das alte wird ohne jede Rücksicht abgebrochen. Autobahnen, Strassen, Schulen – alles ist neu, auch Autos und Motorräder. Sie fahren grossteils elektrisch, da sind uns die Chinesen weit voraus. Zusammen mit unserem Guide erreichen wir Kashgar. Dort haben unlängst Unruhen stattgefunden, man merkt es an der starken Polizei- und Militärpräsenz in der ganzen Stadt. Jetzt ist es aber ruhig. Allerdings dürfen wir mit unseren Autos nur bis zum Hotelparkplatz fahren und sonst keinen Meter weiter ohne den Guide.

Früher war Kashgar ein wichtiges Ort an der Seidenstrasse. Auch heute treffen sich hier Reisenden aus allen Himmelrichtungen. An der Hotelbar gibt es viel zu erzählen und die Erfahrungen und Erlebnisse werden bei einem Drink ausgetauscht. Wir müssen bis Montag (drei Tage) warten, dann können wir erst die chinesische Fahrprüfung machen und die chinesischen Autonummern in Empfang nehmen. Dann kann es losgehen, falls die Behörden uns nicht unerwartet einen neuen Stein in den Weg legen. Der spannendste Teil unserer Reise liegt vor uns…

Ps. Wie es zu erwarten war, ist unsere Blog - Seite hier gesperrt. Doch inzwischen konnte ich es so einrichten, dass ich einen neuen Beitrag per E-Mail laden kann. Das geht leider nur ohne Bilder. Auch kann ich ihn nicht kontrollieren, darum bitte ich euch, mich per E-Mail zu benachrichtigen, falls etwas nicht in Ordnung ist. Die Bilder werden von Nepal aus nachgeliefert.

Montag, 22. August 2011

Brot und Spiele

Manche mögen lieber Fleisch, doch das Brot hier ist viel besser. Natürlich ein frisches Brot. Das Fleisch ist meistens Hammelfleisch und diese Tiere sind hier besonders fett. Und was nicht fett ist, ist bestimmt zäh. Darum Brot, und zwar frisch gebackenes Brot, direkt vom Backofen so zu sagen.
Es wird zu Hause in einem Lehmofen gebacken, welcher draussen neben dem Haus steht. An seinen, mit Holz vor geheizten Innenwänden, klebt die Hausfrau die gekneteten Brotfladen. Die Kunst ist dabei, sie im richtigen Augenblick aus dem Ofen herauszunehmen. Denn etwas zu spät und die ganze Herrlichkeit verwandelt sich in ein Häufchen schwarze Kohle. Das passiert aber äusserst selten. Die kirgisischen Frauen beherrschen ihr Handwerk meisterhaft. Der Duft des frisch gebackenen, warmen Brotes weckt alle unsere Geschmackssinne. Und wie es schmeckt! Wir können davon nicht genug bekommen. Es ist ein Genuss des Augenblickes. Am nächsten Morgen ist das Brot schon hart oder gammelig. Dann doch lieber Fleisch, auch wenn es vom Hammel ist. Die Kirgisen sind ein Reitervolk und wie die Mongolen scheinen sie mit dem Pferd verwachsen zu sein. Darum sind bei ihnen Rennen und Pferdespiele sehr beliebt und sie lassen keine Gelegenheit ungenutzt, ihre Kräfte dabei zu messen. Es gibt viele verschiedene Spiele. Bei einem geht es darum die am Boden mit einem Stein beschwerten, in einer Reihe platzierten Banknoten aufzulesen. Natürlich vom Ross aus und im möglichst schnellem Tempo. Bei einem anderen kämpfen vier Reiter um einen Schafskadaver, der in einer bestimmten Entfernung am Boden liegt. Der schnellste Reiter ergreift das Schaf. Damit hat er aber noch nicht gewonnen, denn er muss es zu einem bezeichneten Punkt bringen, was ihm natürlich die anderen Reiter nicht einfach machen. Oft wechselt das tote Tier den Besitzer mehrmals, bis es einem Reiter endlich gelingt, es am richtigen Ort zu platzieren. Bei einem weiteren Spiel versuchen zwei Reiter mit nackten Oberkörpern sich gegenseitig aus dem Sattel abzuwerfen. Auch ein Rennen „Frau gegen Mann“ ist sehr beliebt. Wenn der Mann gewinnt, gehört ihm die Braut, wenn nicht darf ihn die Gewinnerin mit der Reitpeitsche schlagen.
Alle diese und auch andere Spiele werden mit Begeisterung durchgeführt, die Zuschauer fiebern mit und jubeln dem Sieger oder der Siegerin zu. Es reiten zwar vorwiegend Männer, denn die Frauen haben ja leider Hausarbeit zu erledigen und Kinder zu besorgen, doch deswegen sind sie keine schlechteren Reiterinnen. Und schon mancher Mann hat beim Rennen die Peitsche im Rücken gespürt während ihn eine Frau überholte. Wir haben zwei solche – hier sagt man Festivals, anderswo würde man vielleicht Rodeos sagen – besucht und auch wir waren begeistert. So ein Festival dauert den ganzen Tag und es wurde uns nie langweilig. Beim zweiten waren auch die Adlerjäger dabei. Sie jagen nicht die Adler, sondern mit den Adlern. Die jungen Vögel werden geduldig so lange trainiert, dass sie die erbeutete Tiere, meistens Kaninchen, Hasen, Murmeltiere aber auch Füchse und sogar Wölfe, dem Jäger bringen. Als Belohnung bekommen sie meistens die Eingeweide der erbeuteten Tiere. Adlerjäger sind sehr geachtet und sie halten die Adler wie Mitglieder der Familie. Bei der Vorführung an den Festivals werden Hauskaninchen im Gelände freigelassen. Der Adler schwingt sich in die Luft und bald haucht hat das arme Kaninchen sein Leben aus. Es ist kein schöner Anblick, wenn sich der Adler mit seinen mächtigen Klauen und seinem Schnabel seinen Anteil an der Beute holt.
Am 26. August sollen wir nach China einreisen. Kaschgar ist die erste grössere Stadt. Dort müssen wir viele Formalitäten erledigen wie zu Beispiel die chinesische Fahrprüfung absolvieren. Wir hoffen, dass wir Zugang zum Internet haben werden, um euch die ersten Eindrücke mitzuteilen. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird es, wenn überhaupt, nur noch ohne Bilder möglich sein. Aber es könnte auch sein, dass wir vor der geschlossenen Grenze umkehren müssen. Dann heisst es neu planen. Es bleibt bis zum letzten Augenblick eine nervenaufreibende Angelegenheit.

Dienstag, 16. August 2011

Die Polizei – dein Freund und Helfer

Die Strasse von Osh nach Bishkek ist in guten Zustand. Zwar macht sie einen langen Umweg um eine Ecke Usbekistan zu umfahren. Die Sowjets haben damals die Grenze der Republiken nach ihren Vorstellungen gezogen. Weil alles eine Sowjetunion war, haben die Grenzen auch keine Rolle gespielt. Ganz anders heute – die Grenzziehung von damals verursacht eine Reihe von Problemen, den Umweg, den wir nun fahren müssen. ist das Kleinste. An vielen Stauseen vorbei und über zwei Pässe kommen wir nach Bishkek. Die Hauptstadt Kirgistans hat eigentlich kein ausgeprägtes Gesicht, ein kleines Zentrum nur mit Gebäuden im sowjetischen Stil und einer übergrossen kirgisischen Fahne, vor der eine Ehrenwache steht. Aber es hat eine gute Infrastruktur und einige Supermärkte, wo man fast alles bekommt. So auch Mückenspray, den wir in Usbekistan und Tadschikistan ohne Erfolg gesucht haben. Wir stehen in einem Guest House unweit der deutschen Botschaft. Der Bruder des Besitzers, ein ehemaliger russischer Ingenieur, der angeblich bei der Entwicklung eines Supertorpedos mitgewirkt hat, weiht mich in sein neuestes Projekt ein. Mittels eines übergrossen Dampfkochtopfs will er ein Getränk (hier Kwas genannt) herstellen und damit den Markt überschwemmen. Er hat schon Vorbereitungen getroffen, eine grosse Gasflasche steht rostig aufgeschnitten im Garten bereit. Langsam merke ich, dass man seine Worte nicht ernst nehmen kann. Und so endet der Traum, mich an einem erfolgreichen Unternehmen in Kirgistan zu beteiligen. Auch ein Autobasar gibt es in Bishkek, aber was für einen! Mehrere Tausend Autos stehen in einem riesigen Areal, schön nach Marken sortiert, und warten auf die Kunden. Es wird auch rege gehandelt und gefeilscht. Ein zwanzigjährigen Mercedes geht für 6000 $ an den nächsten Kunden. Mercedes und Audi fahren hier viele, manche noch mit „D“ Zeichen am Heck. Daneben ist der noch grössere Autoteilbasar. Riesige Hallen und unendliche Reihe von Container, die prall gefüllt sind mit neuen und mit noch mehr gebrauchten Ersatzteilen. Wegen der Grösse muss man oft lange suchen bis man das findet, was man braucht. Weiter fahren wir Richtung Osten. An diesem Tag haben wir ausgesprochen Pech. Gleich dreimal werden wir von der Polizei angehalten. Einmal wegen Parken in der zweiten Reihe und das, obwohl ich im Auto sitze, während Romy im Basar Lebensmittel einkauft, dann wegen Überschreiten der erlaubten Geschwindigkeit – 56 statt 40 km/h - und zum Dritten Mal wegen Fahren am Tag ohne Licht. Nun muss man wissen, dass die Polizisten hier wenig verdienen und um die Stelle als Polizist zu bekommen hohe Schmiergelder zahlen müssen. So muss das Geld irgendwie zurückkommen. Da ist ein Auto mit reichen Touristen natürlich ein willkommenes Opfer. Also, um alle Bekannte zu beruhigen – ich bin nicht zu einem Verkehrsrowdy geworden, sondern zum Polizeisponsor. Denn wie es geht, haben uns die Einheimischen erzählt. Es gibt grundsätzlich zwei Möglichkeiten, mit oder ohne Quittung. Bei der ersten wird ein Protokoll erstellt und der Führerschein eingezogen. Man kann ihn dann bei der nächsten Polizeistelle abholen, falls man ihn dort findet und Strafe muss man sowieso zahlen. Interessanterweise gibt es im Russischen wirklich diese Wort „Straf“ für eine Busse. Dabei ist unwesentlich, ob man die beanstandete Übertretung überhaupt gemacht hat oder nicht. Darüber zu diskutieren bringt nichts, denn ein Polizist hat immer Recht. Die zweite Möglichkeit ist viel einfacher – man schiebt dem Polizisten ein oder zwei Banknoten (Wert ungefähr 4 bis 5 Franken) in die Tasche, natürlich ohne eine Quittung zu verlangen. Sofort hat man den Führerschein wieder und kann weiterfahren während ein zufriedener Hüter des Gesetzes freundlich winkt. In den zwei ersten erwähnten Fällen hat diese Methode (alle Einheimischen machen es auch so) gewirkt. Dann habe ich mich einen langen Vortrag von Romy anhören müssen, wie unklug, wenn nicht ausgesprochen dumm es ist, die Korruption zu unterstützen. So finden diese Staaten nie zu einer echten Rechtstaatlichkeit. Nachdem ich mich einige Zeit geschämt habe, wählen wir im dritten Fall eine andere Taktik. Wir reden und verstehen nur Schweizerdeutsch. Es hat zwar lange Zeit gebraucht bis die entnervten Beamten aufgaben und uns weiter fahren liessen aber es ging ohne zu bezahlen. Ein kleiner Erfolg im ungleichen Kampf. In der Zwischenzeit hat mir ein Einheimischer noch eine andere Taktik verraten – so zu tun, als ob man an den höchsten Stellen wie Polizei- und Innenministerium, Schweizerbotschaft oder sogar beim Präsidentenamt gute Freunde hätte, die man nun jetzt sofort anrufen werde. Ich werde demnächst berichten, ob diese Taktik funktioniert, denn die Chance, dass wir in den nächsten Tagen angehalten werden, ist gross.
Im Moment sind wir am Song Kul, einem herrlichen Bergsee, der wie ein blauer Juwel auf knapp 3000 Meter liegt, umrahmt von hohen Bergen. Bäume wachsen hier nicht mehr, aber die Grasshänge werden als Sommerweiden genutzt. Darum gibt es viele Jurten um den See, viele Pferde und noch mehr Schafe. Die Landschaft hier ist sehr schön und ruhig und hat eine mystische Atmosphäre. Angesicht der vielen Pferde hat mich Romy zu einem Pferderitt überredet. Einen halben Tag sind wir unterwegs gewesen. Es war für mich ein riesiger Stress, denn ich weiss nie, wo es bei den Pferden Bremse und Steuer ist. Und die Tiere sind schlau und merken sehr schnell, dass ein Banause auf dem Rücken sitzt und machen was sie wollen. Stolz kann ich aber melden, dass keines von meinen Körperteilen, ich wiederhole keines, irgendwelche Schaden erlitten hat. Auch ein kleiner Erfolg nach den bösen Erfahrungen in der Mongolei. Unsere Einreise nach China kommt langsam näher. Es wird eine Zitterpartie für uns. Unsere Agentur verbreitet Optimismus (verständlich, sie hat 40% Anzahlung bereits erhalten), doch von allen Seiten kommen Hiobsbotschaften – Unruhen in Kashgar (unserer erste Anlaufstelle), Grenze geschlossen, Militäraufmärsche. Sind es Gerüchte, stimmt es? Was wird dann sein wenn wir am 26. August vor der Grenze stehen? Erreichen wir unser Ziel oder müssen wir den ganzen Weg zurückfahren? Wie es immer so schön heisst: Fortsetzung folgt…

Ps. Auch hier klappt es mit dem Internet nicht so recht, unsere Seite lässt sich, aus welchen Gründen auch immer, nicht öffnen. Ich kann neue Beiträge zwar per E-Mail laden, leider aber ohne Bilder. Wahrscheinlich wird es in China nicht besser. Wenn es nur irgendwie geht, werden wir die Bilder nachliefern. Wenn nicht, dann gibt es ja die Tonbildschauen von Romy Müller.

Mittwoch, 10. August 2011

Vom Dach der Welt.

Sorry, aber es ist mir diesmal nicht gelungen Bilder zu laden. Nach dem ersten Pass folgen gleich mehrere, alle über 4000 Meter. Wir sind auf dem Dach der Welt, wir sind in Pamir. Wilde Bergwelt umgibt uns. Die ganz hohen Berge, einige über 7000 Meter mit weissen Gipfeln, die kleineren in allen Schattierungen von Rot, Braun, Ocker und Schwarz. Formen, Zacken und Schluchten in unendlichen Variationen und lange Hochgebirgstäler, die sich bis zum nächsten Pass erstrecken, sind unsere Begleiter. Einsamkeit, keine Dörfer, nur vereinzelt Nomaden, die mit ihren Schaf- und Yakherden die Berge durchstreifen, sind die einzigen Begegnungen. Die Schönheit kann leider uneingeschränkt nur der Beifahrer geniessen. Dazu wurde demokratisch Romy bestimmt, da sie, so viel wie nur möglich, fotografisch festhalten will. Ich weiche inzwischen den Löchern aus und bete das Auto an, durchzuhalten. Murgab ist der einzige Ort von Bedeutung hier oben. Für uns ist natürlich die Tankstelle wichtig. Wie oft wird aus einem Fass getankt. Man muss angeben, wie viel Eimer (1 Eimer = 10 Liter) Benzin man haben möchte. Die Frage, ob es Normal oder Super ist, erübrigt sich, den es gibt, wenn überhaupt, nur eine Sorte. Und ob der Eimer auch wirklich 10 Liter fasst das bleibt ein offenes Geheimnis. Wasser gibt es nur von einer Handpumpe, zum Glück sind wir zwei, Romy pumpt und ich halte die Kanister – oder war es umgekehrt? Einen Basar gibt es auch, ein paar ausrangierte Container dienen als Geschäfte. Wegen der dünnen Luft in dieser Höhe sind alle Kinder in der Schule vom Turnen suspendiert. So rückständig, wie es nun klingt, ist es aber nicht, denn es gibt sogar hier ein Internet Cafe. Allerdings ist der Preis pro Stunde so hoch wie die Berge rundherum. Der Grund ist der eigene Stromgenerator, denn der Ort hat keine funktionierende Stromversorgung. Nun steht die nächste Probe an, der höchste Pass auf unserer bisherigen Reise. Mit 4655 Meter verdient er unseren Respekt. Doch auch diesen Pass schaffen wir, einige Flussdurchquerungen unterwegs inbegriffen. Dahinter liegt die Perle des Pamirs, der Kara Kul See. Blau, geheimnisvoll, umrahmt von weissen Berggipfeln. Obwohl uns das Atmen in dieser Höhe etwas Mühe bereitet, unternehmen wir eine Wanderung zu einer Lagune mit vielen Wasservögeln. Wir müssen uns schliesslich für Tibet vorbereiten. Wir verlassen einige Tage später Tadschikistan und reisen nach Kirgistan ein. Über den Grenzübertritt zu berichten hat Romy untersagt, angeblich habe ich schon zu viel über Grenzübertritte geschrieben und es interessiert sowieso niemanden, meint sie. In Kirgistan gefällt es uns. Hier wächst nämlich Gras in den Bergen. Waren in Tadschikistan die Berge kahl und ohne Vegetation, kommen wir uns hier wie - ja, der Kandidat hat Hundert Punkte - in der Schweiz vor. Grüne Hänge, fette Murmeltiere, gluckernde Bäche. Nur keine Alpen, dafür viel Jurten. Prompt werden wir mit Jogurt beschenkt. Die Menschen hier sind sehr nett und Gastfreundschaft ist selbstverständlich. Am Nachmittag werden wir in eine Jurte eingeladen. Wir erfahren, dass nun Ramadan ist und alles wartet auf den Sonnenuntergang, um sich über den Plow (das Nationalgericht aus Reis, Fleisch und Möhren) zu stürzen. Einige Kirgisen halten sich an diese Regel, andere machen sich nichts daraus. Wir lassen es beim Tee bleiben, denn wir haben schon gegessen. So einfach kommen wir aber nicht davon - spät am Abend klopft es an unserer Tür – die Gastgeberin bringt uns einen riesigen Teller Plow in den Bus. Für uns wird er zum köstlichen Frühstück. Bei der Weiterfahrt kommt uns ein bekannter Landrover entgegen. Es ist Christine und Nuria. Mit ihnen werden wir später im Tibet unterwegs sein. Einmal schon haben wir uns unerwartet getroffen, das war in Aserbaidschan. So ein Treffen mit Bekannten unterwegs ist immer ein kleines Fest. Wir suchen uns einen schönen Platz am Fluss, stellen die Autos zusammen und erzählen, erzählen, was wir alles erlebt haben, reden über bekannte Overlander und tauschen Tipps aus. Irgendwann dann trennen sich unsere Wege wieder, wir fahren weiter Richtung Osch. Diese Stadt hat 2010 weltweit Schlagzeilen wegen ethnischen Unruhen gemacht. Heute ist die Stadt friedlich und lebendig. Doch findet ein aufmerksamer Beobachter ausgebrannte Häuser und Geschäfte, stumme Zeugen der Ereignisse von damals. Ps. I. In eigener Sache: Ich möchte allen treuen Lesern, Freunden und Bekannten herzlich danken für die Glückwünsche zu meinem Geburtstag. Ihr habt mir grosse Freude gemacht. Leider ist der Internet hier noch nicht so schnell, dass ich jedes E-Mail einzeln beantworten kann. Und mit dem Feiern müsst ihr auch noch etwas Geduld haben… Ps. II. Nun fahren wir von Osch nach Bishkek, der Haupstadt Kirgistans. Bis später.

Dienstag, 2. August 2011

Mit einem Fuss in Afghanistan.

Mehrere Tage und mehrere Hunderte von Kilometern sind wir entlang der Grenze zu Afghanistan gefahren. Nur über den Fluss, der die Grenze bildet, haben wir das Land beobachten können. Diese Grenze wurde willkürlich von England und dem zaristischem Russland festgelegt, um ihre Interessensgebiete abzugrenzen und mögliche Konflikte zu vermeiden. Bis heute führen nur wenige Brücken über den Fluss und die blieben für uns verschlossen. Doch nun bietet sich uns eine unerwartete Gelegenheit, einer dieser Übergänge überschreiten zu können. In der Nähe von Ishkashim wird jeden Samstag ein internationaler Markt abgehalten. Wir planen unsere Reise so, dass wir dort an diesem Wochentag ankommen. Zuerst marschiert das Militär an, um die Gegend abzusichern. Dann öffnet sich das Einsentor und Hunderte von Menschen strömen über die Brücke. Die Händler rennen, um sich die besten Plätze zu sichern. Auch die Afghanen öffnen die Barriere. Dort, wo es bis jetzt nur eine Kiesebene gab, wimmelt es  nun plötzlich von Menschen und Ständen - Tadschiken und Afghanen, bunt gemischt ohne die trennende Grenze.
Wir Ausländer dürfen uns auch in die Menge stürzen, aber erst nachdem wir unsere Pässe am Tor deponiert haben. So können wir für kurze Zeit und auch ohne Visum Afghanistan betreten. Unter den wachsamen Augen der Soldaten wird nun gehandelt und gefeilscht. Tadschiken schleppen mobile Restaurants an mit Tischen und Stühlen und bald brutzelt der Plow (ein Reisgericht) in grossen Pfannen. Afghanen fahren mit grossen Handkarren an, schwer beladen mit Teppichen und anderen Gegenständen. Die meiste Ware ist „Made in China“ und eigentlich Ramsch. Doch um das geht es nicht, für uns sind die Menschen massgebend. Afghanen in wallenden Gewändern mit der typischen Kopfbedeckung, Tadschiken eher westlich gekleidet. Leider ist keine einzige Frau aus Afghanistan anwesend. Wahrscheinlich müssen sie zu Hause bleiben, während die Männer die Geschäfte abwickeln. Umso mehr fallen die bunten Kleider der Frauen aus Tadschikistan auf, manche mit Kopftuch, viele aber ohne. Ganz selbstbewusst feilschen sie mit den bärtigen Afghanen um den Preis der Ware. Das wäre für mich die angemessene Stellung der Frau in Islam.
Eine weitere interessante Erfahrung bietet ein Besuch der Thermalquellen. Davon gibt es hier in Pamir einige. Die Badeanzüge sind  scheinbar unbekannt und so badet man grundsätzlich nackt. Das Problem der Geschlechtertrennung hat man mit variierenden Badezeiten gelöst. Die Einheimischen merken sofort, dass hier ein Fremder ratlos herumschaut. Sofort findet sich jemand, der mich unter seine Fittiche nimmt und mir erklärt, wie man hier richtig badet und was es sonst zu beachten gibt.

Nun aber verlassen wir den Fluss, der viele Tage unser treuer Begleiter war. Afghanistan verschwindet in der Ferne, nur die über 6000 Meter hohen verschneiten Gipfel begleiten uns noch lange. Wir wenden uns ins Landesinnere, das hinter einem - laut Karte - 4344 Meter hohem Pass liegt. Die Piste steigt und steigt, die Höhenangabe auf dem GPS auch. Wir sind gespannt - wie wird der Brummi die Höhe und die Steigung meistern. Noch nie sind wir so hoch gewesen. Aber er schafft es, trotz dem schlechten russischen Benzin. Hinter dem Pass an einem See auf gut 4000 Metern, verbringen wir eine kalte Nacht in völliger Einsamkeit. Den Sternenhimmel hier kann ich nicht beschreiben, man muss ihn gesehen haben.


Ps. Morgen geht es weiter nach Murgab und dann weiter Richtung kirgisische Grenze.         

Donnerstag, 28. Juli 2011

Wir fahren Slalom.

Dass ich mit meinen 66 Jahren noch zu einem Slalomfahrer werde hätte ich mir nie gedacht. Aber ich bin es jetzt! Und das kam so: In Tadschikistan sind viele Strassen schlecht bis sehr schlecht. Man bemüht sich, die Situation zu verbessern, aber bei den hohen Bergen und der Grösse des Landes ist das ein unmögliches Unterfangen. Bei der Schneeschmelze werden Strassen regelmässig mit Geröll verschüttet und die Brücken weggespült. Das Geld reicht kaum für den bitter nötigen Unterhalt.  Darum  nimmt man gerne die Hilfe der Chinesen in Anspruch, doch auch diese haben ihre Prioritäten. Zuerst wollen sie die Verbindungsstrassen nach China ausbauen und sie sind fleissig dabei. Die Strasse, die wir nun fahren, gehört sicher nicht dazu. Übrigens haben wir uns eine neue Klassierung für die Strassen in Tadschikistan ausgedacht. Diese geht von der Klasse 1 bis 4. Die Unterscheidung ist sehr einfach. Die Strassen der Klasse 1 kann man nur im ersten Gang befahren, bei Klasse 2 kann man sogar ab und zu den zweiten Gang einlegen, usw. Doch egal auch welche Klasse, die Strassen sind alle voller Löcher. Meistens kommen sie unerwartet und sind teilweise recht tief. Dass ich versuche, ihnen - wenn möglich – auszuweichen, ist nachvollziehbar. Darum fahre ich Slalom. Bekanntlich hat ein Auto aber zwei Spuren. Umso anspruchsvoller wird das Slalomfahren. Ich bin ständig am Üben, oft aber kracht es trotz aller Anstrengung. Eines der Räder knallt voll in ein Loch. Der Brummi möge mir verzeihen…

Von Dushanbe sind wir Richtung Süden die etwas längere Route gefahren. Angeblich ist sie nicht so schlecht wir die direkte Route. Der Anfang sieht auch gut aus. Über einen Pass und durch einen Tunnel (mit Beleuchtung und Belüftung!) kommen wir flott voran. Die Strasse ist aus einem einfachen Grund so gut – der Präsident stammt aus einem Dorf, das an dieser Strecke liegt. Doch dann ist fertig lustig, die Slalomfahrt beginnt. Aber genug gejammert, nur eine Frage sei erlaubt – wie schlecht muss die kürzere Route sein?  Über einen Pass kommen wir in unzähligen Kehren hinunter zum Pjandz Fluss. Dieser ist ein wichtiger Zufluss der Amu-Darja und bildet auf Hunderte von Kilometern die Grenze zwischen Tadschikistan und Afghanistan. Überschreiten kann man diese Grenze nicht, zu mächtig ist der Fluss, zu reissend die Strömung. Manchmal, nur zweihundert Meter von uns entfernt, liegt Afghanistan, das verbotene Land. Einfache, aber sehr ordentliche Dörfer stehen am Flussufer, untereinander verbunden nur mit Eselspfaden. Keine Autos, keine Stromleitungen, nur ab und zu eine Satelitenschlüssel zeigt etwas Vorschritt. Wir kommen uns wie Voyeure vor, wie Besucher eines Freilichtmuseums wenn wir das Leben auf der anderen Seite des Flusses beobachten. Eselkarawanen ziehen schwer beladen auf schmalen Saumpfaden von Dorf zu Dorf. Neben den Lehmhäusern türmen sich Vorräte an Heu und Stroh. Die Leute sind gezwungenermassen Selbstversorger und darum wird jedes, auch noch so kleine Stück Land, das man bewässern kann, für Getreideanbau genutzt.

Alle diese Dörfer liegen auf einem schmalen Landstreifen und direkt dahinter türmt sich eine 3000 Meter hohe Bergkette auf. Ab und zu sehen wir im zick-zack schmale Eselpfade die bis zum Gipfel führen. Dies ist die einzige  Verbindung zum übrigen Afghanistan. Und wir schauen den Afghanen vom anderen Flussufer, von einer anderen Welt zu. Das heisst, nur der Beifahrer kann es tun, der Fahrer muss sich voll auf die Strasse konzentrieren, denn die Löcher sind sehr hinterlistig – aber das hatten wir ja schon.
Heute ist mein 66-ster Geburtstag. Die zerstochene Romy – ein paar von den listigern Mücken  hat den Weg unter das Moskitonetz gefunden – wünscht mir am Morgen alles Gute zum Geburtstag. Zum Frühstück gibt es Rühreier und Jogurt. Wir haben gestern einen schönen Standplatz auf einer grünen Wiese gefunden und es dauert lange, bis die Sonne hinter den hohen Bergen aufgeht. Doch dann ist es so weit und bald wird es ungemütlich. Obwohl wir schon auf 2000 Meter Höhe sind, wird es schnell heiss. Wir fahren die restliche 60 km bis Khorog. Was sonst weniger als eine Stunde Fahrt bedeuten würde, dauert  hier fast drei Stunden. In Khorog, welches mit 2000 Einwohnern die grösste Stadt weit und breit ist und die sogar einen Flughafen für kleine Propellermaschinen hat, beziehen wir ein spartanisches Zimmer in der Pamir Lodge, denn schliesslich habe ich heute Geburtstag. Es sind einige Reisende hier, die meisten Fahrradfahrer, denn der Pamir Highway ist für einen Fahrradfahrer die Herausforderung schlechthin. Romy kocht schnell eine Suppe, denn am Abend wollen wir „auswärts“ fein essen gehen, denn schliesslich habe ich heute Geburtstag, doch das habe ich ja schon gesagt.
Ja, 66 Jahre und kein bisschen weise. Romy fragte gleich am Morgen: „Warum können wir nicht als normale Pensionierte leben?“ (Die Mückenstiche jucken sie noch grausam.) Ja, warum nicht? Es muss etwas in unserem Blut sein, diese unbestimmte Sehnsucht, die Welt zu erforschen, Neues zu erfahren, unbekannten Menschen zu begegnen, Herausforderungen entgegen zu treten.
Trotz allem bin ich froh, wieder einmal an meinem Geburtstag unterwegs zu sein, auch wenn es manchmal nicht so angenehm und mühsam ist. Und ich bin froh Romy an meiner Seite zu haben – auch wenn sie nachts mit mir schimpft weil ich schnarche.


Ps.
In den nächsten Tagen geht es weiter. Pamir und die ersten über 4000 Meter hohe Pässe liegen vor uns. Wir sind gespannt, es wird die Generalprobe für Tibet sein.

Donnerstag, 21. Juli 2011

Ein STAN weiter.



Wir erreichen Taschkent, eine moderne Stadt. Es macht den Anschein als würde der Präsident von Usbekistan gerne aus der Metropole ein zweites Aschgabad machen. Nun fehlt ihm aber die entscheidende Kleinigkeit, die Turkmenistan hat, nämlich das Geld. So ist alles etwas kleiner und bescheidener als in Aschgabad ausgefallen: die Springbrunnen, der Hauptplatz, die Paläste… Doch eine Sache muss man ihm zu Gute halten. Obwohl schon zum Dritte Mal „gewählt“ hat er noch nicht angefangen überall Statuen von sich selbst aufzustellen.
Wir fahren zur Grenze von Tadschikistan. Ich habe schon etliche Grenzübertritte beschrieben aber jedes Mal erleben wir etwas Neues, etwas Unerwartetes. Hier wird das Auto „desinfiziert“ indem für 5 Dollar die Räder kurz mit einer unbestimmten Lösung bespritzt werden, wahrscheinlich damit wir den Strassenstaub vom Nachbarland nicht einschleppen. Gleich nach der Grenze erwartet uns eine neue Strasse mit perfektem Belag. Unsere Freude darüber hält sich in Grenzen, denn nach einigen Kilometern kommt eine Zahlstelle. Wir überqueren den Syr Darja, einen mächtigen Fluss über dessen Wasser Tadschikistan und Usbekistan in einem erbitterten Streit liegen. Einen Tag verbringen wir an einem Stausee, in einem ehemaligen Kindererholungsheim. Die früher sicher schöne Anlage ist halb zerfallen, der Staat hat kein Geld mehr für Kindererholung. Das ist einer der Gründe, warum manche Einheimische der Sowjetunion nachtrauen.
Seit wir Iran verlassen haben sind wir viele Wochen über flaches Land gefahren, nun sehen wir mächtige, teils noch schneebedeckte Berge am Horizont. Und bald ist unsere  Freude über die schöne Strasse zu Ende. 

Die Chinesen, die hier die Strasse bauen, sind mit dem Bau des Tunnels noch nicht fertig. Darum geht es über einen 3400 Meter hohen Pass. Die Strasse, und das ist eine Beleidigung dieses Wortes, stammt noch aus der Sowjetzeit. Seitdem hat man nichts mehr in den Unterhalt investiert. Der ursprüngliche Asphaltbelag hat sich aufgelöst und tiefe Löcher haben sich aufgetan. Die Fahrzeuge ziehen mächtige Staubfahnen hinter sich. Die Steigung zwingt die Lastwagen im Schritttempo zu fahren. Zum Staub kommen noch schwarze Abgaswolken dazu. Überholen ist praktisch unmöglich. Wir fahren Slalom zwischen den Löchern, schlucken Staub und Abgase. Der Motor quält sich im ersten Gang. Langsam, sehr langsam gewinnen wir in unzähligen Kurven an Höhe. Endlich sind wir oben. Das Bergpanorama ist überwältigend, doch der starke kalte Wind lässt es uns nicht lange geniessen. Nicht weniger als elf Fünftausender sind in dieser Gegend zu bewundern.
Zur Erholung machen wir einen Abstecher zum Iskander-kul, einem herrlichen Bergsee auf etwa 2200 Metern Höhe. Unterwegs treffen wir Ernst, einen Schweizer aus Bülach, der mit einem Kleinmotorrad unterwegs ist. Sein grösstes Problem ist, ob sein Scouter später die hohen Pamir-Pässe schaffen. Zusammen verbringen wir zwei Tage auf einer herrlich grünen Wiese an einem kristallklaren Bergbach. Es gesellt sich noch ein Iraner zu uns, der auf dem Fahrrad mit seiner Mission schon vier Jahre unterwegs ist. Letztere ist simpel – er sagt den Leuten, sie sollen Bäume pflanzen. 

Lange reden wir am Lagerfeuer über Gott und die Welt. Auch über den Tunnel, der vor uns auf dem weiteren  Weg nach Dushanbe, der Hauptstadt Tadschikistans, liegt. Der Tunnel ist berühmt – berüchtigt. Es gibt keine Beleuchtung und keine Lüftung für gut fünf Kilometer. Man kann ihn aber über einen Pass umfahren. So dreht sich die Diskussion: Pass oder Tunnel? Wir ziehen alle möglichen Informationen ein. Leider sind sie sehr widersprüchlich, von es geht bis Horror. Wir entscheiden uns für den Tunnel, denn die Passstrasse soll  noch schlechter sein als die letzte. 

Den iranischen Fahrradfahrer laden wir samt Fahrrad in den VW Bus, Ernst fährt in unserem Schutz hinter uns. So fahren wir in das grosse schwarze Loch. Die Abgase verpesten die Luft, die Sichtweite ist vielleicht 30 Meter. Ich hoffe, dass die anderen Verkehrsteilnehmer Lichter haben und sie auch benutzen. Eine riesige Baumaschine steht unbeleuchtet mitten im Tunnel. Tiefe Löcher in der Fahrbahn, voll Wasser, das unablässig von der Decke tropft. Wie tief sie sind kann ich nur ahnen. Da ist schon wieder ein entgegenkommendes Auto, das mit Fernlicht blendet. Fahren, fahren, ja nicht anhalten  müssen. Wir sorgen uns um Ernst, der hinter uns die Giftmischung direkt einatmen muss, wir können wenigstens Fenster und Lüftung schliessen. Plötzlich ist die Fahrbahn auf einer Länge von gut 100 Meter ganz unter Wasser, wie tief wissen wir nicht. Aber es geht, wir quälen uns vorwärts. Ein Stein fällt uns vom Herzen als wir das sprichwörtlichen Licht - nach über  einer halben Stunde - am Ende des Tunnels sehen. Es ist wieder einmal gut ausgegangen. Kaum zu glauben, dass der Tunnel erst drei Jahre alt sein soll. Ende Monat, also in 12 Tagen soll er endgültig geschlossen werden, weil er zu gefährlich ist.
Kurz vor Dushanbe wollen wir noch die Mittagpause machen. Wie immer suchen wir einen schattigen Platz. Da keine Bäume weit und breit sind, fahren wir in ein verlassenes Fabrikgelände ein. In einer leeren Halle sind wir unter Dach, der Schatten ist perfekt. Doch die böse Überraschung folgt bei  der Ausfahrt. Die völlig verrostete Barriere, die bei unserer Ankunft offen war und unbrauchbar aussah, ist nun verschlossen. Niemand weit und breit. Ich versuche mit meiner kleinen Eisensäge das Schloss durchzusägen, leider ist es ein solider russischer Stahl. Wir müssen uns auf die Suche nach dem Besitzer des Schlüssels machen, was uns auch nach vielem  herumfragen gelingt. Da merken wir aber schnell, dass es um Geld geht. Darum hat er uns auch bewusst eingeschlossen. Wir verhandeln. Die ursprünglich verlangten 50 Somoni können wir auf 20 Somoni (etwa 4 Franken) hinunterhandeln (ein Arzt verdient
Fr. 20.--). Wir fahren weiter - um eine Erfahrung reicher: ein perfekter Schatten kann relativ teuerer sein.

Ps. Nun liegt der Pamir Highway vor uns, eine  entlegene Strasse über 4600 Meter hohe Pässe nahe an der Grenze zu Afghanistan. Es gibt dort weder Treibstoff noch Lebensmittel und schon gar kein Internet. So kann es sein, dass der nächste Beitrag etwas auf sich warten lässt.