Donnerstag, 28. Juli 2011

Wir fahren Slalom.

Dass ich mit meinen 66 Jahren noch zu einem Slalomfahrer werde hätte ich mir nie gedacht. Aber ich bin es jetzt! Und das kam so: In Tadschikistan sind viele Strassen schlecht bis sehr schlecht. Man bemüht sich, die Situation zu verbessern, aber bei den hohen Bergen und der Grösse des Landes ist das ein unmögliches Unterfangen. Bei der Schneeschmelze werden Strassen regelmässig mit Geröll verschüttet und die Brücken weggespült. Das Geld reicht kaum für den bitter nötigen Unterhalt.  Darum  nimmt man gerne die Hilfe der Chinesen in Anspruch, doch auch diese haben ihre Prioritäten. Zuerst wollen sie die Verbindungsstrassen nach China ausbauen und sie sind fleissig dabei. Die Strasse, die wir nun fahren, gehört sicher nicht dazu. Übrigens haben wir uns eine neue Klassierung für die Strassen in Tadschikistan ausgedacht. Diese geht von der Klasse 1 bis 4. Die Unterscheidung ist sehr einfach. Die Strassen der Klasse 1 kann man nur im ersten Gang befahren, bei Klasse 2 kann man sogar ab und zu den zweiten Gang einlegen, usw. Doch egal auch welche Klasse, die Strassen sind alle voller Löcher. Meistens kommen sie unerwartet und sind teilweise recht tief. Dass ich versuche, ihnen - wenn möglich – auszuweichen, ist nachvollziehbar. Darum fahre ich Slalom. Bekanntlich hat ein Auto aber zwei Spuren. Umso anspruchsvoller wird das Slalomfahren. Ich bin ständig am Üben, oft aber kracht es trotz aller Anstrengung. Eines der Räder knallt voll in ein Loch. Der Brummi möge mir verzeihen…

Von Dushanbe sind wir Richtung Süden die etwas längere Route gefahren. Angeblich ist sie nicht so schlecht wir die direkte Route. Der Anfang sieht auch gut aus. Über einen Pass und durch einen Tunnel (mit Beleuchtung und Belüftung!) kommen wir flott voran. Die Strasse ist aus einem einfachen Grund so gut – der Präsident stammt aus einem Dorf, das an dieser Strecke liegt. Doch dann ist fertig lustig, die Slalomfahrt beginnt. Aber genug gejammert, nur eine Frage sei erlaubt – wie schlecht muss die kürzere Route sein?  Über einen Pass kommen wir in unzähligen Kehren hinunter zum Pjandz Fluss. Dieser ist ein wichtiger Zufluss der Amu-Darja und bildet auf Hunderte von Kilometern die Grenze zwischen Tadschikistan und Afghanistan. Überschreiten kann man diese Grenze nicht, zu mächtig ist der Fluss, zu reissend die Strömung. Manchmal, nur zweihundert Meter von uns entfernt, liegt Afghanistan, das verbotene Land. Einfache, aber sehr ordentliche Dörfer stehen am Flussufer, untereinander verbunden nur mit Eselspfaden. Keine Autos, keine Stromleitungen, nur ab und zu eine Satelitenschlüssel zeigt etwas Vorschritt. Wir kommen uns wie Voyeure vor, wie Besucher eines Freilichtmuseums wenn wir das Leben auf der anderen Seite des Flusses beobachten. Eselkarawanen ziehen schwer beladen auf schmalen Saumpfaden von Dorf zu Dorf. Neben den Lehmhäusern türmen sich Vorräte an Heu und Stroh. Die Leute sind gezwungenermassen Selbstversorger und darum wird jedes, auch noch so kleine Stück Land, das man bewässern kann, für Getreideanbau genutzt.

Alle diese Dörfer liegen auf einem schmalen Landstreifen und direkt dahinter türmt sich eine 3000 Meter hohe Bergkette auf. Ab und zu sehen wir im zick-zack schmale Eselpfade die bis zum Gipfel führen. Dies ist die einzige  Verbindung zum übrigen Afghanistan. Und wir schauen den Afghanen vom anderen Flussufer, von einer anderen Welt zu. Das heisst, nur der Beifahrer kann es tun, der Fahrer muss sich voll auf die Strasse konzentrieren, denn die Löcher sind sehr hinterlistig – aber das hatten wir ja schon.
Heute ist mein 66-ster Geburtstag. Die zerstochene Romy – ein paar von den listigern Mücken  hat den Weg unter das Moskitonetz gefunden – wünscht mir am Morgen alles Gute zum Geburtstag. Zum Frühstück gibt es Rühreier und Jogurt. Wir haben gestern einen schönen Standplatz auf einer grünen Wiese gefunden und es dauert lange, bis die Sonne hinter den hohen Bergen aufgeht. Doch dann ist es so weit und bald wird es ungemütlich. Obwohl wir schon auf 2000 Meter Höhe sind, wird es schnell heiss. Wir fahren die restliche 60 km bis Khorog. Was sonst weniger als eine Stunde Fahrt bedeuten würde, dauert  hier fast drei Stunden. In Khorog, welches mit 2000 Einwohnern die grösste Stadt weit und breit ist und die sogar einen Flughafen für kleine Propellermaschinen hat, beziehen wir ein spartanisches Zimmer in der Pamir Lodge, denn schliesslich habe ich heute Geburtstag. Es sind einige Reisende hier, die meisten Fahrradfahrer, denn der Pamir Highway ist für einen Fahrradfahrer die Herausforderung schlechthin. Romy kocht schnell eine Suppe, denn am Abend wollen wir „auswärts“ fein essen gehen, denn schliesslich habe ich heute Geburtstag, doch das habe ich ja schon gesagt.
Ja, 66 Jahre und kein bisschen weise. Romy fragte gleich am Morgen: „Warum können wir nicht als normale Pensionierte leben?“ (Die Mückenstiche jucken sie noch grausam.) Ja, warum nicht? Es muss etwas in unserem Blut sein, diese unbestimmte Sehnsucht, die Welt zu erforschen, Neues zu erfahren, unbekannten Menschen zu begegnen, Herausforderungen entgegen zu treten.
Trotz allem bin ich froh, wieder einmal an meinem Geburtstag unterwegs zu sein, auch wenn es manchmal nicht so angenehm und mühsam ist. Und ich bin froh Romy an meiner Seite zu haben – auch wenn sie nachts mit mir schimpft weil ich schnarche.


Ps.
In den nächsten Tagen geht es weiter. Pamir und die ersten über 4000 Meter hohe Pässe liegen vor uns. Wir sind gespannt, es wird die Generalprobe für Tibet sein.

Donnerstag, 21. Juli 2011

Ein STAN weiter.



Wir erreichen Taschkent, eine moderne Stadt. Es macht den Anschein als würde der Präsident von Usbekistan gerne aus der Metropole ein zweites Aschgabad machen. Nun fehlt ihm aber die entscheidende Kleinigkeit, die Turkmenistan hat, nämlich das Geld. So ist alles etwas kleiner und bescheidener als in Aschgabad ausgefallen: die Springbrunnen, der Hauptplatz, die Paläste… Doch eine Sache muss man ihm zu Gute halten. Obwohl schon zum Dritte Mal „gewählt“ hat er noch nicht angefangen überall Statuen von sich selbst aufzustellen.
Wir fahren zur Grenze von Tadschikistan. Ich habe schon etliche Grenzübertritte beschrieben aber jedes Mal erleben wir etwas Neues, etwas Unerwartetes. Hier wird das Auto „desinfiziert“ indem für 5 Dollar die Räder kurz mit einer unbestimmten Lösung bespritzt werden, wahrscheinlich damit wir den Strassenstaub vom Nachbarland nicht einschleppen. Gleich nach der Grenze erwartet uns eine neue Strasse mit perfektem Belag. Unsere Freude darüber hält sich in Grenzen, denn nach einigen Kilometern kommt eine Zahlstelle. Wir überqueren den Syr Darja, einen mächtigen Fluss über dessen Wasser Tadschikistan und Usbekistan in einem erbitterten Streit liegen. Einen Tag verbringen wir an einem Stausee, in einem ehemaligen Kindererholungsheim. Die früher sicher schöne Anlage ist halb zerfallen, der Staat hat kein Geld mehr für Kindererholung. Das ist einer der Gründe, warum manche Einheimische der Sowjetunion nachtrauen.
Seit wir Iran verlassen haben sind wir viele Wochen über flaches Land gefahren, nun sehen wir mächtige, teils noch schneebedeckte Berge am Horizont. Und bald ist unsere  Freude über die schöne Strasse zu Ende. 

Die Chinesen, die hier die Strasse bauen, sind mit dem Bau des Tunnels noch nicht fertig. Darum geht es über einen 3400 Meter hohen Pass. Die Strasse, und das ist eine Beleidigung dieses Wortes, stammt noch aus der Sowjetzeit. Seitdem hat man nichts mehr in den Unterhalt investiert. Der ursprüngliche Asphaltbelag hat sich aufgelöst und tiefe Löcher haben sich aufgetan. Die Fahrzeuge ziehen mächtige Staubfahnen hinter sich. Die Steigung zwingt die Lastwagen im Schritttempo zu fahren. Zum Staub kommen noch schwarze Abgaswolken dazu. Überholen ist praktisch unmöglich. Wir fahren Slalom zwischen den Löchern, schlucken Staub und Abgase. Der Motor quält sich im ersten Gang. Langsam, sehr langsam gewinnen wir in unzähligen Kurven an Höhe. Endlich sind wir oben. Das Bergpanorama ist überwältigend, doch der starke kalte Wind lässt es uns nicht lange geniessen. Nicht weniger als elf Fünftausender sind in dieser Gegend zu bewundern.
Zur Erholung machen wir einen Abstecher zum Iskander-kul, einem herrlichen Bergsee auf etwa 2200 Metern Höhe. Unterwegs treffen wir Ernst, einen Schweizer aus Bülach, der mit einem Kleinmotorrad unterwegs ist. Sein grösstes Problem ist, ob sein Scouter später die hohen Pamir-Pässe schaffen. Zusammen verbringen wir zwei Tage auf einer herrlich grünen Wiese an einem kristallklaren Bergbach. Es gesellt sich noch ein Iraner zu uns, der auf dem Fahrrad mit seiner Mission schon vier Jahre unterwegs ist. Letztere ist simpel – er sagt den Leuten, sie sollen Bäume pflanzen. 

Lange reden wir am Lagerfeuer über Gott und die Welt. Auch über den Tunnel, der vor uns auf dem weiteren  Weg nach Dushanbe, der Hauptstadt Tadschikistans, liegt. Der Tunnel ist berühmt – berüchtigt. Es gibt keine Beleuchtung und keine Lüftung für gut fünf Kilometer. Man kann ihn aber über einen Pass umfahren. So dreht sich die Diskussion: Pass oder Tunnel? Wir ziehen alle möglichen Informationen ein. Leider sind sie sehr widersprüchlich, von es geht bis Horror. Wir entscheiden uns für den Tunnel, denn die Passstrasse soll  noch schlechter sein als die letzte. 

Den iranischen Fahrradfahrer laden wir samt Fahrrad in den VW Bus, Ernst fährt in unserem Schutz hinter uns. So fahren wir in das grosse schwarze Loch. Die Abgase verpesten die Luft, die Sichtweite ist vielleicht 30 Meter. Ich hoffe, dass die anderen Verkehrsteilnehmer Lichter haben und sie auch benutzen. Eine riesige Baumaschine steht unbeleuchtet mitten im Tunnel. Tiefe Löcher in der Fahrbahn, voll Wasser, das unablässig von der Decke tropft. Wie tief sie sind kann ich nur ahnen. Da ist schon wieder ein entgegenkommendes Auto, das mit Fernlicht blendet. Fahren, fahren, ja nicht anhalten  müssen. Wir sorgen uns um Ernst, der hinter uns die Giftmischung direkt einatmen muss, wir können wenigstens Fenster und Lüftung schliessen. Plötzlich ist die Fahrbahn auf einer Länge von gut 100 Meter ganz unter Wasser, wie tief wissen wir nicht. Aber es geht, wir quälen uns vorwärts. Ein Stein fällt uns vom Herzen als wir das sprichwörtlichen Licht - nach über  einer halben Stunde - am Ende des Tunnels sehen. Es ist wieder einmal gut ausgegangen. Kaum zu glauben, dass der Tunnel erst drei Jahre alt sein soll. Ende Monat, also in 12 Tagen soll er endgültig geschlossen werden, weil er zu gefährlich ist.
Kurz vor Dushanbe wollen wir noch die Mittagpause machen. Wie immer suchen wir einen schattigen Platz. Da keine Bäume weit und breit sind, fahren wir in ein verlassenes Fabrikgelände ein. In einer leeren Halle sind wir unter Dach, der Schatten ist perfekt. Doch die böse Überraschung folgt bei  der Ausfahrt. Die völlig verrostete Barriere, die bei unserer Ankunft offen war und unbrauchbar aussah, ist nun verschlossen. Niemand weit und breit. Ich versuche mit meiner kleinen Eisensäge das Schloss durchzusägen, leider ist es ein solider russischer Stahl. Wir müssen uns auf die Suche nach dem Besitzer des Schlüssels machen, was uns auch nach vielem  herumfragen gelingt. Da merken wir aber schnell, dass es um Geld geht. Darum hat er uns auch bewusst eingeschlossen. Wir verhandeln. Die ursprünglich verlangten 50 Somoni können wir auf 20 Somoni (etwa 4 Franken) hinunterhandeln (ein Arzt verdient
Fr. 20.--). Wir fahren weiter - um eine Erfahrung reicher: ein perfekter Schatten kann relativ teuerer sein.

Ps. Nun liegt der Pamir Highway vor uns, eine  entlegene Strasse über 4600 Meter hohe Pässe nahe an der Grenze zu Afghanistan. Es gibt dort weder Treibstoff noch Lebensmittel und schon gar kein Internet. So kann es sein, dass der nächste Beitrag etwas auf sich warten lässt.




 

Dienstag, 12. Juli 2011

Die Perlen an der Seidenstrasse.

Die Städte Khiva (deutsche Schreibweise Chiwa), Buchara und Samarkand sind unsere nächsten Stationen. Die Namen sind vielleicht die berühmtesten Städtenamen auf dem langen Weg vom Mittelmeer bis nach China. Tausende Karawanen machten hier Halt und erholten sich vom  Kräfte zehrenden Weg durch die Wüsten. Und genauso wie heute war auch damals die Erholung und Sicherheit nicht umsonst. Die Herrscher dieser Städte wussten genau um den Wert der Ware und verlangten ihren Anteil in Form von Zöllen. So wurden sie unermesslich reich, konnten ihre Städte durch hohe Mauern umgeben und in ihrem Schutz prächtige Paläste, Moschen und Medresen (Koranhochschulen) bauen. Wenig hat sich von dieser Pracht bis in die heutigen Tagen erhalten, doch das Wenige lässt staunen.
Die erste Stadt auf unserem Weg ist Khiva, in einer Flussoase am Amu-Darja Fluss gelegen. Rund herum eine glühende Wüste, so heiss, dass schlafen im Auto fast unmöglich ist. Das Auto heizt sich während des Tages so auf, dass es bis Mitternacht dauert, bis die Hitze etwas entwichen ist. Und morgens um sieben Uhr ist schon wieder zu heiss. So gehen wir öfters in ein Hotel oder Guest-House. In Khiva liegt es genau gegenüber dem westlichen Tor. Vier Tore, für jede Himmelrichtung eines, gewähren den Zugang in die Stadt. Dort wähnt man sich in einem lebendigen Museum. Nicht umsonst ist diese Stadt in der UNESCO Weltkulturerbeliste enthalten. Wir können vom Balkon aus dem geschäftigen Treiben am Tor zusehen und uns gut vorstellen, wie es damals war, als die beladenen Karawanen durch dieses Tor die Stadt betraten. Heute sind es nicht mehr Händler, sondern Touristen, die hier das Eintrittsgeld entrichten und die Stadt betreten. Die Pracht der alten Bauten ist geblieben, das Angebot in den Bazaren hat sich geändert. Andenken aller Art sind zu haben. Wahrscheinlich  ist, dass es sich dabei um Ware wie damals auch „made in China“ handelt. Von den Kamelen haben wir nur eines gesehen. Es arbeitet hart als Fotomotiv im Dienste der Tourismusindustrie. Am schönsten ist die Stadt am Abend, wenn die Tageshitze nachgelassen hat und die untergehende Sonne die Lehmmauer in ein mildes Licht taucht.

Dann fast zwei Tage Fahrt durch die Wüste nach Buchara. Die längste Baustelle, die ich je „erfahren“ durfte. Über 130 km ist die Strasse im Bau. Mühsam plagen sich die modernen „Kamele“ in Staubwolken eingehüllt durch unzählige Löcher und Bodenwellen der Umfahrungspiste. Unterwegs übernachten wir in der Wüste. Wir haben eine Aussendusche, aber sie fasst nur 10 Liter Wasser, also 5 Liter pro Person. Das reicht gerade um den gröbsten Staub abzuwaschen. Die ganze Nacht hören wir das Geklapper und Motorenheulen der Lastwagen. Überall hat es viel Sand und deswegen können wir nicht weit von der Strasse wegfahren um etwas mehr Ruhe zu haben.
Am nächsten Tag wird die Strasse besser, die Landschaft grüner und gegen Mittag sind wir in Buchara, der nächsten Perle an der Schnur die Seidenstrasse heisst. Wir haben zwar von anderen Overlandern Angaben, wo man in der Stadt gut mit einem Wohnmobil stehen kann. Gut ist gut, in dieser Hitze aber unmöglich. Wir finden eine Bleibe in einem Guest-House mitten in der Altstadt. Alle Sehenswürdigkeiten Bucharas liegen gleich um die Ecke. Das Erste Mal begegnen wir hier mehr als nur vereinzelten Touristen. Buchara ist einfach schön. Um das zentrale Wasserbecken gruppieren sich restaurierte Medresen und Bazare. Auch da ist das Angebot auf die Touristen ausgerichtet. Lebensmittel und Ware des täglichen Gebrauchs kauft man natürlich auch im Bazar, aber in der Vorstadt, nicht hier im historischen Zentrum.  Das ist zum Glück autofrei und so können wir gemütlich von einer Sehenswürdigkeit zur anderen schlendern, belästigt nur von den Souvenirhändlern. Die Kalon Mosche mit gleichnamigem Minarett dient wieder dem Glauben. Zur Sowjetzeit wurde sie als Lagerhaus verwendet. Doch nur wenige Gläubige verlieren sich in den Hallen, die bis zu 10’000 Menschen Platz bieten. Usbeken sind eben keine fanatischen Moslems. So ist der Zutritt auch überall erlaubt und Alkohol wird gern getrunken.

Nach drei Tagen fahren wir Richtung Samarkand. Unterwegs besuchen wir die Stadt Shahrisabz. Hier wurde Timur, auch Tamerlan genannt, der grausame Herrscher und Eroberer, geboren. Sein Reich erstreckte sich von Ägypten bis nach China. Er lies Menschen zu Tausenden bestialisch ermorden und ganze Städte dem Erdboden gleich machen. Heute wird er von den Usbeken (obwohl er streng genommen gar kein Usbeke war) in Ermangelung anderer historischer Persönlichkeiten verehrt. Wahrscheinlich braucht jede Nation eine Identifikationsfigur? Darum steht auch hier eine übergrosse Statue von Timur. Das wäre so weit für uns noch verständlich, weniger verständlich ist, dass sich bei der Statue Hochzeitpaare fotografieren und filmen lassen. An diesem Samstagvormittag zählen wir sage und schreibe gut  zwanzig Hochzeitpaare, die zeitweise sogar warten müssen, bis die Statue „frei“ wird. Die Braut ist immer in weiss, etwas unsicher ins Brautleid gezwängt, mit sehr ernsthafter Miene. Trauert sie den Mädchenjahren nach oder ist es ein Teil des Spiels? In Usbekistan heiraten die Frauen sehr jung, mit 25 Jahren ist eine Frau schon „unverkäuflich“. Die Hochzeiten werden meist von den Familien arrangiert. Und wenn ich das Treiben an der Timur Statue beobachte, kommt mir in den Sinn, dass ich gar nicht weiss, wie man die Mehrzahl von Bräutigam schreibt.
Zwischen Shahrisabz und Samarkand liegt ein Pass von etwa 1700 Meter Höhe. Die Temperatur oben ist mit 32 Grad ganz angenehm, darum beschliessen wir hier die Nacht zu verbringen. Doch ein sehr starker Sturm rüttelt unablässig am Auto. Eben, wie es heisst – nichts ist vollkommen…
Samarkand, die letzte der drei Perlen. Um die Sehenswürdigkeiten voll zur Geltung zu bringen hat die Stadtverwaltung ganze Stadteile abreissen lassen und, wo es nicht ging, hat sie die alten, niedrigen Häuser hinter einer Mauer „versteckt“. So wirken die grossartigen Bauten entsprechend imposant, doch gleichzeitig ist das alles etwas künstlich. Wir stehen immer wieder voll Stauen vor diesen grossartigen Bauwerken, die die Jahrhunderte kriegerischer Auseinandersetzungen, Naturgewalten wie Erbeben und Stürme überdauert haben - sogar die Zeit der kommunistischen Herrschaft, die der Religionen wenig zugetan war. Riesige Kuppeln, bedeckt mit fein gearbeiteten, glasierten Ziegeln  ragen zusammen mit unzähligen Minaretten in den blauen Himmel. Leider hat man mitten drin für eine folkloristische Grossveranstaltung im August eine riesige Zuschauertribüne gebaut, die den Gesamteindruck erheblich stört.  Eben – nichts ist vollkommen…… Eine ganze „Strasse“, wo ein prächtig dekoriertes Mausoleum neben dem anderen steht, erstaunt uns von Neuen. Der Bazar ist neu und unvorstellbar riesig. Ganze Hallen mit Ständen voll Obst, Gemüse, Trockenfrüchten. In klimatisierte Räume werden Fleisch und Milchprodukte verkauft. Alles was ein Mensch braucht kann man hier finden. Es wird gefeilscht und gehandelt und es herrscht  ein Kommen und Gehen. Frauen in bunten Kleidern und goldenen Zähnen verkaufen frisch gebackenes Brot auf der Strasse. Angeblich sind goldene Zähne hier ein Schönheitsideal und ein Wohlstandsymbol. Auch für das leibliche Wohl ist gesorgt. Kleine Restaurants servieren Schaschlik - Spiesse, dazu kann man sogar Bier vom Fass  haben. Das wäre für mich allerdings ein Killer bei dieser Hitze. Am Abend im  Hotel ja, aber nicht hier. Unser Hotel, eigentlich ein Guest-House, ist ein Backpacker Treffpunkt schlechthin. Wie treffen hier einige Bekannte, wie Thomas, der mit einem Motorrad in die Mongolei fährt und andere. Das Auto steht vor dem Hotel in der prallen Sonne, gestern hat der Thermometer im Innern 52 Grad gezeigt. Uns geht es bei der Siesta im Zimmer mit Klimaanlage bedeutend besser. Auch der Internetzugang ist vorhanden, so erfahren wir, dass es sich bei den in Pakistan entführten Schweizern nicht um unsere Bekannte handelt (aber wir fühlen mit den Betroffenen). Wir haben uns schon grosse Sorgen deswegen gemacht. (siehe den Artikel „Baby on Board in diesem Blog“, die richtige Adresse von Jan, Lilian und Lola ist übrigens „blog.jan-kunz.net“ also ohne www)


Auch in Samarkand bleiben wir fast drei Tage. Morgen fahren wir  nach Taschkent, der Hauptstadt Usbekistan. Taschkent ist eine neue, moderne Stadt, dort werden wir sicher keine grossartigen Denkmäler der Vergangenheit finden, aber bestimmt viele andere interessante Dinge. Nachher erwartet uns ein neues „stan-Land“ nämlich Tadschikistan.                

Montag, 4. Juli 2011

Neuland genannt „-STAN“

Nun werden wir eine Reihe Länder bereisen, deren Namen alle auf „-stan“ enden. Wir beginnen mit Turkmenistan. Der erste Eindruck von Turkmenistan ist: Romy ohne Kopftuch und im T-Shirt. Gleich nach dem wir den ersten Schritt über die Grenze gemacht haben, hat sie das Tuch vom Kopf gerissen. Der zweite Eindruck: die iranische Bürokratie beim Grenzübertritt wird übertroffen. Unzählige Büros, unzählige Formulare, unzählige Unterschriften. Und Dollars wollen sie auch, viele Dollars. Für Visa, Einreisetaxe, Versicherung, Kompensation von Treibstoffkosten, Desinfektion vom Fahrzeug (die aber nicht stattfindet) und Anderes. Für alles zusammen lassen wir bei der Einreise 250 USD liegen. Endlich sind wir durch und fahren nach Ashgabat, der  Hauptstadt. Plötzlich taucht sie wie eine Fata Morgana aus dem Hitzendunst vor uns auf.


Was hier aus der Wüste gestampft wurde ist schierer Wahnsinn. Riesige Hochhäuser mit Marmor verkleidet, Verwaltungsgebäude mit farbigen Kuppeln, der Präsidentenpalast natürlich mit goldenen.  Viele Verwaltungsgebäude, es scheint alles hier hat eine eigene Verwaltung, sogar Abfalleimer und die zu gross geratenen Polizeimützen. Polizei ist überall präsent, an jeder Ecke stehen Beamte. Dementsprechend wird auch anständig gefahren und parkiert, denn die Polizei scheint kein Pardon zu kennen. Sogar das Fahren mit einem schmutzigen Auto wird gebüsst. (Darum haben wir unseren Brummi vorsorglich noch in Iran gewaschen). Den grössten Eindruck hinterlassen bei uns aber die Parks und Gärten, riesig mit Springbrunnen ohne Ende, am Abend farbig beleuchtet. Gewaltige Wasser- und  Energiemengen werden hier vergeudet. Grünes, frisches Gras das ständig bewässert werden muss, Bäume, jeder davon hat eine eigene Wasserzuleitung. Künstliche Flüsse durchziehen die Stadt als wenn man sagen will – wir sind mächtiger als die Wüste. Wobei das „wir“ auf eine Person reduziert werden muss – Turkmenbashi, der Vater aller Turkmenen. Ursprünglich Chef der kommunistischen Partei hat er nach dem Zerfall der Sowjetunion die Herrschaft an sich gerissen, das Land in die Unabhängigkeit geführt, sich als Präsident  auf  Lebenszeit wählen lassen um mit Hilfe der zahlreich fliessender Gelder aus den Gasfeldern seine Vision zu verwirklicht. Seine Vision ist ein goldenes Turkmenistan, seine Visitenkarte die Hauptstadt. Sie ist eindrucksvoll ohne Frage, aber sie wirkt sehr künstlich. Es fehlt irgendwie das Leben, Menschen sieht man wenige auf den Strassen. Es gibt viele Denkmäler aber einen Kiosk, wo man ein Getränk kaufen kann muss man lange suchen. Turkmenbashi ist vor fünf Jahren gestorben, sein Nachfolger mit einem unaussprechbaren Namen folgt seinen Fussstapfen.  
Wir können uns in Ashgabat zwar frei bewegen aber wir müssen im Hotel übernachten. Ausserhalb der Stadt dürfen wir nur mit einem Führer unterwegs sein. Die nächste Enttäuschung ist das Internet. Auch hier ist, wie in Iran, unsere Blog-Seite bei Google gesperrt. Leider findet sich hier kein Internet Cafe mit findigen Hackern, also muss unser Blog warten. Überhaut scheint Turkmenistan dem Computer-Zeitalter ein wenig nachzuhinken. Alles wird noch in dicke Bücher von Hand eingetragen, wie früher. Und Fernsehen: es gibt ein Programm, wo ständig Volkslieder gesungen, getanzt und schöne Landschaften von Turkmenistan gezeigt werden, sonst nichts. Für Nachrichten und Unterhaltung muss man auf russische Sender ausweichen. Ein Taxifahrer formuliert es vorsichtig: „Bei uns ist alles gut, wir singen nur und tanzen, es gibt keine Probleme im Land über die man berichten oder diskutieren müsste“.
Für uns ist aber der „Brennende Krater“ oder auf English „The door to hell“ der Höhepunkt von Turkmenistan.

Mitten in der Karakorum-Wüste gibt es ein Loch, etwa 80 Meter im Durchmesser und 50 Meter tief. Und unten lodernden zahlreiche Flammen. Bei einer missglückten Bohrung entstanden hat sich das Erdgas entzündet und brennt seit mehr als 40 Jahren. Wir kommen in der Nacht an. Schon von Weiten sehen wir den Feuerzauber am Horizont. Dann stehen wir am Rand des Kraters und eine gewaltige Hitze schlägt uns entgegen. Gespenstischer kann ein Ort nicht sein, grosse schwarze Spinnen kriechen am Boden, es gibt kleine Gaseruptionen, die Flammen schlagen hoch. Mit dieser Energie könnte man eine mittelgrosse Stadt heizen, doch Turkmenistan hat viel Gas, sehr viel sogar.
Einige Tage später verlassen wir Turkmenistan und reisen in ein neues „stan“ Land ein, nach Usbekistan. Es gibt ein kleines Problem an der Grenze. Die Zollbeamten wollen unsere Medikamente sehen. Gerne zeigen wir ihnen unsere Medi-Kiste (Danke Barbara) nichts Böses ahnend. Romy’s  Schlaftabletten werden kurzerhand beschlagnahmt, angeblich handelt es sich bei dem Wirkstoff um eine Droge. (nun weiss ich endlich warum Romy ab und zu Schlafprobleme hat). Reden und diskutieren hilft nichts. Als man droht, uns wegen illegaler Drogeneinfuhr zu verhaften, geben wir klein bei. Zwar kann ich noch 10 Tabletten retten, der Rest wird aber vor unsren Augen vernichtet. Ja, irgendwann haben wir was von „Absurdistan“ gehört, aber so weit sind wir noch nicht…
Dann geht es zum Aralsee, den es heute nur noch als Miniaturausgabe gibt. Rostige Fischerkähne liegen im Sand der Wüste herum - als stumme Denkmäler dieser ökologischen Katastrophe. Moynaq war früher ein Fischerhafen, in der Fischkonservenfabrik waren Tausende von Menschen beschäftigt. Da man dem See das Wasser der Zuflüsse abgegraben (unter anderem für den Karakumkanal, der die Hauptstadt Turkmenistans mit dem beschriebenen Wasserreichturm versorgt) und in andere Regionen geleitet hat, wurde er seit 1960 immer kleiner und an seiner Stelle breitete sich die Wüste aus. Vom damaligen Hafen von Moynaq, die nun ihr Dasein als Geisterstadt fristet, muss man heute über Hundert Kilometer fahren, bis man das Ufer von dem erreicht, was vom See übrig geblieben ist.