Wir sind unterwegs nach Winnipeg. Die Hauptstadt von
Manitoba liegt etwa auf dem halben Wege zwischen der Ost- und der Westküste von
Kanada. Dort besuchen wir im Stadion, wo normalerweise Hockey gespielt wird,
ein Pow wow. Dies ist eine Zusammenkunft der Indianer Kanadas, die heute
politisch korrekt „First Nation“ heissen. Wir sind total überrascht: Es ist die
grösste Veranstaltung in Kanada - mit über Tausend Teilnehmern und noch viel mehr
Zuschauern. Und wirklich – so viele Indianer in ihrer farbigen, traditionellen
Kleidung und mit prächtigem Federschmuck ausgestattet, haben wir nicht einmal
in sämtlichen Winnetou-Filmen gesehen.
Es wird den ganzen Tag getanzt, gesungen
und getrommelt. Unzähligen Gruppen (oder sind es verschiedene Indianerstämme?)
treffen im fröhlichen Wettbewerb gegeneinander an. Diese und ähnliche Treffen
dienen auch dazu, die indianische Kultur zu ehren und um Kontakte zu knüpfen. Stundelang
schauen wir dem bunten Treiben zu, ein wenig stört uns aber, dass diese Veranstaltung
in einem Hallenstadion stattfindet und nicht irgendwo in der Prärie unter
freiem Himmel. Dort könnte man sogar auch eine Friedenspfeife rauchen, was
leider im Stadion nicht erlaubt ist. Fazit – ob die Indianer wirklich keinen
Schmerz kennen bleibt uns verborgen, doch ihre Tänze, Schmuck und die
traditionelle Kleider entsprechen durchaus den Klischees aus den
Abenteuerbüchern meiner Jugendzeit.
Dann wollen wir nach Churchill, hoch im Norden an der Küste
der Hudson Bay gelegen. Es führt aber keine Strasse dorthin, der Ort ist nur
per Flugzeug oder mit der Eisenbahn erreichbar. Aber, oh, Schreck, der
zweistündige Flug von Winnipeg kostet wesentlich mehr als ein Flug von Europa nach
Churchill. So ist es, wenn eine Fluggesellschaft das Monopol besitzt. Da wir
schon einige Male auf unserer Reise geflogen sind und auch Schiffe benutzt
haben, lockt uns die Bahn, auch wenn die Fahrt 45 Stunden dauert. Kurz
entschlossen buchen wir eine Kabine im Schlafwagen. Der Brummi bleibt in einem
Camping in Winnipeg. Die Kabine ist mit Sitzen und einem ausziehbaren Bett
ausgestattet, sogar ein WC und eine Waschgelegenheit sind vorhanden. Nur die
Duschen sind nicht privat, dazu muss man sich zum Waggonende begeben. Einen
Speisewagen gibt es auch, allerdings können wir das Essen dort nicht empfehlen.
Schon bei der Buchung wurden wir gewarnt, die Mahlzeiten seien zwar im Preis inbegriffen,
doch seien die Menüs „prepacked“. Was das heisst erfahren wir beim ersten
Mittagessen – es sind Fertigmenüs in einer Plastikschale, schnell in der
Mikrowelle aufgewärmt. Das Besteck ist natürlich auch aus Plastik.
Wie auch
immer, mit etwa einstündiger Verspätung verlassen wir den Bahnhof von Winnipeg,
der einem riesigen Palast gleicht, eine Erinnerung an die Zeiten, in der die
Eisenbahn das Hauptverkehrsmittel in Amerika war. Zuerst geht die Fahrt durch
riesige Getreidefelder, dann kommen Laub- und Nadelbaumwälder, die dann
schliesslich von Tundra mit unzähligen kleinen und grossen Seen abgelöst
werden. Sie bilden sich, weil das Wasser wegen dem Permafrostboden nicht
versickern kann. Die Bahnlinie wurde für den Getreidetransport zum Hafen von
Churchill gebaut. Uns locken die Eisbären nach Churchill. Die Werbung nennt den
Ort „Eisbärenwelthauptstadt“. An dieser Stelle friert im Winter die Hudson Bay
zuerst ein und die Eisbären, die auf dem Land kaum etwas zu fressen finden,
warten sehnsüchtig darauf auf das Eis gehen zu können um nach Robben zu jagen
und sich vollzufressen.
Nach zwei Tagen im Zug steigen wir im schmucken Bahnhof von
Churchill aus. Die Stadt hat etwa 800 Einwohner. Uns sind natürlich die
Eisbären wichtiger, aber auch für die Bewohner sind sie nicht ganz ohne. Denn
es ist nicht ungewöhnlich, dass die Bären durch die Strassen des Ortes
spazieren. Da sie für die Menschen viel gefährlicher sind als ihre braunen Artgenossen,
werden sie von der Bärenpolizei verjagt, die 24 Stunden in den Strassen patrouilliert.
Diejenigen, die rückfällig geworden sind, werden eingefangen und in ein
„Bärengefängnis“ nahe beim Flughafen eingesperrt. Dort bekommen sie nur Wasser
und müssen in Betonkäfigen ausharren, bis sie nach ungefähr 30 Tagen mit einem
Hubschrauber etwa 50 Kilometer weit in die Wildnis ausgeflogen werden. Diese
brutale Behandlung soll sie von erneutem Eindringen in die Stadt abhalten. Schilder
warnen vom Betreten der Strassen bei Dunkelheit, sowie vom Wandern in der
Umgebung. Denn mit den Eisbären ist nicht zu spassen. Im letzten November wurden
zwei Teenager mitten in der Stadt angegriffen und schwer verletzt, als sie von
einer Halloween-Party nach Hause zurückkehrten. Darum gehen wir die Bären nicht
selber suchen sondern buchen eine Tour.
Und wir werden nicht enttäuscht. Es
gibt zwar nicht an jeder Ecke einen Bär, aber wir bekommen etliche zu sehen,
Einzeltiere und Mütter mit Jungen. Stundelang könnten wir ihnen zusehen, auch
wenn sie die meiste Zeit schlafen. Super, nur das Wetter könnte besser sein.
Hier bereitet sich schon alles auf den langen Winter vor.
Schwärme der
kanadischen Gänse verlassen das Land Richtung Süden, ihre Gekreische erfüllt
die Gegend.
Die Blätter der Pflanzen verfärben sich in allen Farbtönen von Gelb
bis Rot. Und den kommenden Schnee kann man förmlich in der Luft riechen.