Bevor wir weiter fahren können, müssen wir einen Tag auf einem trostlosen Hotelparkplatz verbringen. Man muss wissen, dass die Strasse, der wir nun folgen werden, neu gebaut wird. Da die Chinesen nicht kleinlich sind, erwartet uns eine Baustelle von 700 km Länge, so wird uns gesagt. Am Ende werden es ganze, Romy hat es genau aufgeschrieben, sage und schreibe 930 km sein. Aber der Reihe nach. Wir müssen warten (auf dem Hotelparkplatz), denn die Strasse wird für den normalen Verkehr nur an drei Tagen im Monat geöffnet. Dann dürfen wir! Und es wird bald klar, was unseres Brot für die nächsten 5 Tage sein wird: eine Piste von der übelsten Sorte, Flussdurchfahrten ohne Brücken, Löcher, gewaltige Steigungen ohne Ende, Steine jeder Grösse, Staub, Schlamm, Wellblech und alle möglichen Widrigkeiten. Vor allem die Höhe macht Mensch und Auto zu schaffen. Denn sehr bald ist der erste Pass mit 5200 Meter erreicht und es folgen weitere, nicht minder hohe, der höchste davon über 5400 Meter. Es geht auch immer wieder hinunter, jedoch nie unter 4500 Meter. Erste Höhenbeschwerden machen sich bemerkbar, vor allem Kopfweh und Schlaflosigkeit. Für den schlimmsten Fall haben wir zwei Sauerstoffkissen bekommen. Sie sind zwar recht gross, aber wie lange der Sauerstoff im Notfall reichen würde wagen wir gar nicht zu fragen. Doch ertragen wir die Höhe besser als erwartet, vielleicht dank der Akklimatisation im Pamir. Wegen der Höhe verlieren die Motoren an Leistung. Sehr oft müssen wir stundelang im ersten oder im zweiten Gang fahren. Der Benzinverbrauch schnellt in noch grössere Höhe als wir uns befinden. War der Durchschnittsverbrauch in der Schweiz um die 12 Liter, sind es hier glatt 10 Liter mehr. Wir müssen Benzin nachkaufen, da unsere Kalkulation mit 15 Liter weit hinter dem wirklichen Verbrauch liegt. Es gibt aber keine Tankstellen, Benzin kann man nur bei Privaten kaufen. Sie verlangen aber Fantasiepreise für eine fragwürdige Qualität, denn sie wissen all zu gut, dass man keine Alternative hat, wenn man das Benzin braucht. Lieber verkaufen sie nicht, jedes Handeln ist zwecklos. Ausserdem stimmen die angegeben Mengen nie mit der Wirklichkeit überein, was zu wüsten Diskussionen Anlass gibt.
Für das alles entschädigt uns die Landschaft. Wunderschöne Berge in allen Farbschattierungen, teils mit Schnee bedeckt, weitläufige Täler, Flüsse, die ihren Lauf noch selber wählen können und Wolken, die fantastische Gebilde am Himmel zeichnen. Nun darf der Fahrer die Schönheit der Landschaft nur in den kurzen Fahrpausen geniessen, denn wenn er nur für einen kurzen Augenblick die Augen von der Piste lässt, kommt garantiert ein tiefes Loch oder ein Stein. Habe ich früher über schlechte Strassen in Tadschikistan geschrieben, muss ich mich nachhinein entschuldigen. Das hier übersteigt alles bei Weitem. Vor allem der blaue VW von Johanna und Fabian hat Mühe, er hat nur Zweiradantrieb. Einige Male bleibt er in einem Fluss stecken, die starken Landrover müssen ihn dann herausziehen. Auch einige Steigungen packt er nicht. Das kostet alles viel Zeit, unser Durchschnitt ist kaum 20 km pro Stunde. Bald hängen wir dem Zeitplan hinterher. Dazu kommt noch eine unerwartete Strassensperre. Fast den ganzen Tag stehen wir von einem Erdwall, erst gegen Abend kommt ein Radbagger und macht den Weg frei.
Viele Tausend chinesische und tibetische Arbeiter sind unter erbärmlichen Bedingungen am Bau beschäftigt. Alle paar Kilometer steht ein Baukamp, wo die Arbeiter in grossen Zelten leben, kein Komfort in 5000 Meter Höhe. Klar gibt es Maschinen, aber sehr viel wird noch von Hand gemacht.
Wir kämpfen uns vorwärts, Kilometer um Kilometer. Dann endlich – ein Pass, behangen mit Gebetsfahnen. Jetzt sind wir in Tibet. Freude herrscht, Fotos werden gemacht. Aber äusserlich hat sich nichts geändert, die Landschaft ist gleich schön, die Piste gleich schlecht. So geht es Tag um Tag. Unterwegs kann man nichts kaufen, vom Duschen nur träumen. Es gilt nur eines, vorwärts kommen. Jeden Tag sind wir 10 bis 12 Stunden am Steuer. Nicht zu denken, wenn hier eine Panne passieren würde. Unser Guide fährt abwechselnd in einem der vier Fahrzeuge mit.
Doch, wie man sagt, alles hat ein Ende. Nach 930 km und fünf Tagen liegt - wie eine Fata Morgana - ein perfekter Asphalt vor uns. Wir möchten aussteigen und den Belag küssen. Der Brummi schwebt gerade, so kommt uns es vor. Wir fliegen! Wir haben das Übel besiegt. Obwohl wir wussten, dass die Pisten schlecht sind, müssen wir im nach hinein sagen, dass wir die Schwierigkeiten unterschätzt haben. Mensch und Material kamen auf diesem Schreckensabschnitt an ihre Grenzen und wie schätzen uns glücklich, dass es alle – so scheint es im Moment – heil überstanden haben.
Im Moment sind wir in Ali. Die Stadt auf der Karte zu suchen ist relativ schwierig, denn sie hat etwa fünf verschiedene Namen. Hier gibt es (fast) alles. Für uns ist die Dusche am wichtigsten. Alles hier ist fest in chinesischer Hand, Tibeter sind bald in der Minderheit. Zuerst lassen wir die Fahrzeuge waschen damit die ursprüngliche Farbe zum Vorschein kommt und alles wird gecheckt und wenn nötig repariert. Es gibt ein Internetcafe, hier Internetbar genannt, ein Bazar und mehrere Supermärkte. Wir kaufen ein und bunkern Wasser. Nun sind wir bereit für die nächsten Abenteuer.
Ps. Vielen Dank für das Echo. Ich bin sehr froh, dass dieser Weg, im Blog neue Beiträge zu veröffentlichen, funktioniert, wenn leider auch ohne Bilder. Im nächsten Reiseabschnitt wollen wir den heiligen Berg Kailash zu Fuss umrunden (drei Tage über einen Pass von 5600 Metern). Wir werden wahrscheinlich lange ohne Internetzugang sein.
Wir grüssen herzlichst unsere treuen Leser und entschuldigen uns, dass es nicht möglich ist, uns bei allen persönlich zu bedanken.
Romy und Miro
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