Sonntag, 27. Mai 2012

Klimawechsel


Amritsar – vor 39 Jahren war es für uns die erste indische Stadt auf dem Hippie-Trail. Seit Pakistan unsicher geworden ist verirren sich nur wenige Langzeitreisende hierher. Heute ist die Stadt hektisch, chaotisch und erstickt im Verkehr. Diesmal aber lasse ich mich nicht von Navi in die engen, verstopften Gassen der Altstadt locken und so finden wir ohne Probleme das Guest House. Amritsar ist vor allem die heilige Stadt der Sikhs. Die Anhänger dieser Religion, an ihren turbanähnlichen Kopfbedeckungen erkennbar, wohnen mehrheitlich hier, im indischen Teilstaat Punjab. Der Goldene Tempel ist der Ort, an dem sie ihre heiligen Bücher aufbewahren, die ohne Unterbrechung gelesen werden. Er ist für sie wie der Vatikan für die Christen oder Mekka für die Moslems.

Manchmal kann man in Indien unerwartete Wunder erleben. Wir durchstreiten das Tor zum Goldenen Tempel und gleich befinden wir uns in einer anderen Welt. War es gerade noch erdrückend, rastlos, lärmig und hetzend, ist hier Ruhe. Sphärische Klänge und Gesänge erfüllen die Luft, die Menschen sind ruhig und freundlich miteinander. Sogar die Hitze scheint nicht mehr so erdrückend zu sein wie sie gerade noch draussen war. Der Goldene Tempel, in dem das heilige Buch der Sikhs gelesenwird, steht auf einer Insel inmitten des heiligen Sees, durch einem Steg mit dem Ufer verbunden. Der letzte Guru bestimmte, dass keine Gurus nach ihm kommen werden, sondern dass das Heilige Buch fortan der Guru sein wird. Die Gläubigen lauschen andächtig den Worte des Vorlesers, bringen Opfer dar und baden im heiligen See. Die Sikhs gelten allgemein als tüchtig und tatsächlich ist hier alles perfekt organisiert. Alle Pilger werden unentgeltlich in einer riesigen Kantine verköstigt.Ttäglich werden mehr als 10 000 Essen ausgegeben. So effizient wie hier wird in Indien selten gearbeitet.

Jetzt haben wir die Hitze endgültig satt. Was sollen wir aber tun? Romy findet die einzig mögliche Lösung – wir müssen in die Höhe. Wir finden sie in Dharamsala auf 1800 Meter. Bis wir dieses Ziel erreichen haben wir etwas zu erdulden. Denn gerade heute findet hier ein wichtiges Kricketspiel zwischen Punjab und Delhi statt. Weil die Inder in Kricket mindestens so vernarrt sind wie die Deutschen in Fussball, sind sämtliche Zufahrtstrassen durch angereiste Fanfahrzeuge blockiert. Nichts geht mehr, stundelang stecken wir im Stau.
Das Städtchen Dharamsala war eine „Hill Station“, wo die britischen Kolonialbeamten in heissen Monaten Erholung suchten. Tatsächlich, hier ist es nur noch 34 Grad – herrlich. Endlich können wir wieder tief durchatmen. 1959, als die Chinesen Tibet besetzten und viele Tibeter fliehen mussten, hat die indische Regierung dem Dalai Lama in diesem Ort Exil angeboten. Etwa 10`000 Tibeter sind ihm seither gefolgt. Und so fühlen wir uns hier fast wie im Tibet. Gebetsfahnen flattern im Wind, Mönche in roten Roben eilen hin und her und Frauen in typisch tibetischen Kleidern beherrschen das Strassenbild. Statt „Namaste“ hören wir wieder „Tashi Delek“ und „O mani padme hum“ klingt aus den Lautsprechern. Wir besuchen verschiedene Tempel und sogar eine typisch englische Kirche aus der Kolonialzeit finden wir. Vor allem aber geniessen wir das angenehme Klima. Leider ist der Dalai Lama nicht zu Hause, er ist irgendwo im Ausland unterwegs. 
Sowieso sind die Zeiten, wo man als normaler Sterblicher beim ihm eine private Audienz bekommen konnte, längst vorbei. Der ganze Exilregierungkomplex ist mit hoher Mauer und Stacheldraht umgeben und von indischen Sicherheitskräften bewacht. Nur der grosse Tempel ist der Öffentlichkeit zugänglich.

Nach drei geruhsamen Tages müssen wir wieder hinunter in die Hitze, aber nur für zwei Tage. Unser Ziel ist Srinagar in Kaschmir, das sich durch ein mildes Klima auszeichnet. Doch der Weg hat es in sich. Viele Inder haben zur Zeit Ferien und sie haben das gleiche Ziel wie wir– der Hitze zu entfliehen. So ist die kurvige Bergstrasse völlig verstopft, denn zu ihnen gesellen sich die untermotorisierten Lastwagen und viele Militärkonvois. Langsam, sehr langsam kommen wir voran. Kaschmir ist  seit Jahrzehnten ein Zankapfel zwischen Indien und Pakistan, schon drei Kriege wurden ausgefochten zwischen diesen Ländern und die Grenze besteht nur aus einer Demarkationslinie. Neu kommen dazu noch islamische Fundamentalisten, die im Geheimen von Pakistan unterstützt, für einen Anschluss an Pakistan kämpfen. Darum begegnen wir Soldaten und Sicherheitseinheiten auf Schritt und Tritt. Im Moment ist die Lage ruhig und entspannt, wie uns die Einheimischen bestätigen.
In Srinagar wohnt man auf einem Hausboot. Sie liegen - vielleicht zu Hunderten - vertäut am Ufer des Dal-Sees. Diese Tradition haben die Engländer eingeführt. Sie suchten in dem angenehmen Klima Erholung in den heissen Sommermonaten und die Gegend war ideal dafür. Der Maharadscha hat ihnen nicht gestattet hier Land zu erwerben um Häuser zu bauen. Die Lösung waren die Hausboote. Teils sind es recht grosse Ungetümer mit bis zu vier Schlafzimmern, einem Salon und natürlich mit einem Badezimmer mit Badewanne. Auch ein Balkon über dem Wasser fehlt nicht. Die Boote sind mit altenglischen, aus Holz geschnitzten Möbeln ausgestattet. Heute sind es indische Touristen, die hier Ferien machen. Wie wir bei den Einheimischen herausgehört haben, sind sie aber nicht besonders beliebt. Sie fallen in Horden ein, sind laut und lassen viel Abfall liegen (dieses Vorurteil müssen wir leider bestätigen). Doch sie bringen Geld und so sind zurzeit praktisch alle Hausboote belegt. Nur über den Kontakt mit einer Schweizerin, die hier mit einem Kashmiri verheiratet ist, bekommen wir ein etwas bescheidenes Hausboot, denn wir möchten hier in Ruhe ein paar Tage ausspannen. Und so sitzen wir nun auf der Terrasse über dem Wasser, Ruderboote gleiten vorbei, Leute winken uns freundlich zu, Wasservögel kreisen am Himmel, die Sonne scheint, gerade wird uns ein gut englisches Frühstück serviert – was kann man sich noch mehr wünschen... 

Montag, 21. Mai 2012

Im heissen Rajasthan


In Jodhpur haben wir das Glück beim 554 jährigen Stadtgründungstag dabei zu sein. Eigentlich ist diese unrunde Zahl nichts Besonderes. Aber beim 550 jährigen Jubiläum vor vier Jahren hat man mit Bedauern festgestellt, dass es kein Denkmal gibt, das an den Stadtgründer erinnert. In den vergangenen vier Jahren wurde fleissig Geld gesammelt und ein bekannter, indischen Bildhauer beauftragt, eine Reiterstatue vom Gründer zu schaffen.
Heute ist der grosse Tag, die Statue wird enthüllt. In einem grossen Zelt werden lange Reden gehalten, selbst der heutige Maharadscha mit seiner Maharani ist dabei und er ist, wie es den Eindruck macht, beim Volk sehr beliebt. Unzählige Schulklassen wurden herbei gekarrt, auch Verwaltungsangestellte und natürlich das gemeine Fussvolk darf nicht fehlen. Den farbenprächtigsten Beitrag leistet aber die indische Armee mit einer berittenen Kameleinheit. Die Kamele sind bunt geschmückt, tragen an den Beinen Messingringe und viele kleine Glöcklein. Die Soldaten wurden in prächtigen Galauniformen gesteckt und bunte Fahnen flattern durch die Luft. Nach den vielen, unendlichen Reden begibt sich die ganze Gesellschaft zu Fuss in Begleitung von Militärmusikanten in Paradeuniformen und der erwähnten Kameleinheit zu dem Ort, wo die verschleierte Statue auf ihre Enthüllung wartet. Diesen besonderen Moment hat man natürlich gut durchdacht, mit Hilfe eines Gasballons sollte das Tuch auf Befehl des Maharadschas in die Höhe gehoben werden. Da aber in Indien selten etwas auf Anhieb klappt, wird nun die perfekte Durführung durch den Wind verhindert, das Tuch verfängt sich an der Statue und nur dank einem mutigen Helfer, der auf das Denkmal klettert, wird es freigegeben. Das Volk klatscht begeistert. Wir finden das Denkmal aber nicht besonders gelungen. Zur Feier des Tages wir das Fort heute gratis zur Besichtigung freigegeben. Auf diese Gelegenheit haben scheinbar sehr viele Bewohner von Jodhpur gewartet und bald ist es dort etwa so eng wie in Zürich beim Stadtfest an der Quaibrücke
.
Nun fahren wir in die Wüste nach Jaisalmer. Sanddünen gibt es leider nur an ein paar wenigen Stellen. Sonst ist sie mit niedrigen Akazien und Büschen bewachsen. Garantiert wüstenhaft sind nur die Temperaturen. In Jaisalmer finden wir ein wunderschönes Hotel in einem ehemaligen Palast. In dem riesigen Gebäude mit über 80 Zimmern sind wir die einzigen Gäste und darum und dank Romy’s harten Verhandlungen bekommen wir mehr als 50% Rabatt. Es ist ein komisches Gefühl in einem so grossen und schönen Hotel die einzige Gäste zu sein. Aber wir geniessen es, auch wenn wir über die vielen Angestellte an jeder Ecke stolpern. Zur Besichtigung in Jaisalmer gibt es vor allem das Fort, das mit seinen Wällen und Bastionen, die noch mit Kanonen bestückt sind, auf einem hohen Felsen die Stadt beherrscht. Weiter finden wir sehr schöne Haveli (Paläste reicher Kaufleute) und einen kleinen See.


Da die Temperaturen unerträglich sind (ich weiss, ich wiederhole mich) haben wir unseren ursprünglichen Plan, ein mehrtägiges Kameltrekking zu machen, geändert und uns nur für eine dreistündige Kamelsafari zu Sonnenaufgang in der Wüste entschieden. Es wäre für die Kamele (die zweibeinigen) einfach zu heiss. Es geht in die Wüste zu einem Ort, wo die Grabmäler der früheren Maharadschas liegen. 
Leider – und das hat man uns verschwiegen – hat man in diese Wüste in den letzten Jahren umfangreiche Windparks gebaut. Ja, eine Kamelsafari unter den drehenden Windturbinen ist etwas ungewohnt. Ungewohnt für uns sind auf dem Rückweg vor der Stadt auch die vielen Inder, die ihr morgiges Geschäft im Freien verrichten. Es stört sie überhaupt nicht, wenn wir hoch zu Kamel an ihnen vorbei marschieren. Das Geschäft, wenn einmal angefangen, wird zu Ende geführt und anschliessend mit Wasser aus einer mitgeführten Flasche die entsprechende Stelle gereinigt. Zuschauer hin oder her, man lässt sich nicht vom wesentlichen abbringen. Ja, wie es so schön heisst – andere Länder, andere Sitten.
Jaisalmer ist eine ruhige Stadt, übersichtlich, nicht allzu hektisch, der Verkehr auf indische Verhältnisse mässig. Uns gefällt es hier am besten von allen besuchten Städten in Rajasthan. 

Doch noch liegt Bikaner vor uns, etwa 330 km entfernt. Hier ist es vorbei mit der Ruhe. In den engen Gassen der Altstadt bricht der Verkehr dauernd zusammen, es macht keinen Spass mehr hier in mit Abgase geschwängerter Luft zu spazieren und die schönen Havelis zu suchen. Zudem haben sie ihre besten Zeiten längst hinter sich und dämmern dem Verfall entgegen. Nur das Fort trotzt noch den Unbilden der modernen Zeit. Eine verschwitzte Touristen Gruppe (alle über 70) verlässt gerade das Tor und eilt zum klimatisierten Bus. Was tun sich die Leute an – oder war diese Reise vielleicht ein Schnäpchen?

Mit einem Lokalbus fahren wir nach Deshnok. Deshnok wäre eigentlich den Abstecher nicht wert, wenn es dort nicht einen Tempel gäbe. Auch der Tempel ist an sich nicht besonders. Was ihn aber zu einer der kuriosesten Sehenswürdigkeiten Indiens macht sind die Ratten, die zu Hunderten im Tempel Karni Mata leben. Die Einheimischen glauben, dass es gerettete Seelen sind und bringen ihnen Nahrung. Als besonders Glückbringend gilt, das von den Ratten angeknabberte Essen zu verspeisen. Besonders gern haben die Ratten Milch. Vielleicht 30 und mehr trinken gemeinsam aus einer grossen Schale. Es ist schon ein komisches Gefühl barfuss (indische Tempel darf man nur ohne Schuhe betreten) zwischen den vielen Ratten umherzulaufen. Und eklig dazu, denn die Ratten lassen ab und zu etwas abfallen… Man muss höllisch aufpassen um nicht auf eine Ratte zu treten, das würde komplizierte Opfergaben zur Folge haben. Die Ratten machen einen degenerierten Eindruck obwohl sie Nahrung im Überfluss haben. Vielleicht ist es Inzucht oder sind die indischen Ratten so, wer weiss? Ich für meine Seite bin froh wenn wir wieder draussen sind und die Füsse waschen können.


Montag, 14. Mai 2012

Vergangene Pracht und Prunk


Wir sind wieder auf dem Kulturpfad. Nachdem wir keinen Tiger gesehen haben wenden wir uns der Geschichte zu. Die Tempel, Paläste und Forts haben wenigstens den Vorteil, dass sie sich nicht verstecken wie es die Tiger zu tun pflegen. Zuerst ist Jaipur, die Hauptstadt Rajasthans an der Reihe. Sie ist riesig und wie immer ist es für uns nicht leicht ein passendes Hotel zu finden. Das Navi leistet bei der Suche nur begrenzte Hilfe, denn es kennt keine Einbahnstrassen, Umleitungen, Strassensperrungen und manchmal bringt es uns in eine fast ausweglose Lage, wenn es an einer kritischen Stelle komplett den Dienst versagt. Hotels gibt es zwar zuhauf aber wir haben ein paar Sonderwünsche – es muss einen sicheren Parkplatz (möglichst im Schatten) haben, nicht weit von den Sehenswürdigkeiten entfernt und natürlich auch nicht zu teuer sein. Das erschwert die Suche erheblich. Auch ein Zimmer mit Klimaanlage ist ein Muss, zu allgemeinen Erinnerung, wir haben jeden Tag im Auto Temperaturen bis 44 Grad. Nun, irgendwann ist das Hotel gefunden (oft sind wir die einzigen Gäste, wer ist denn schon bei dieser Hitze unterwegs) und wir erholen uns zuerst in der angenehmer Kühle, bevor wir mit einem Motorrikscha ins Zentrum fahren. Dem gehen dann immer ausgedehnte Preisverhandlungen voraus da wir ja den ortsüblichen Preis nicht kennen und der Rikscha Fahrer zuerst eine riesige Summe verlangt, die es in realistische Grösse hinunter zu handeln gilt. Ich schildere dies deshalb so ausführlich, weil sich dieses Vorgehen nun in jeder Stadt in Rajasthan wiederholen wird.

In Jaipur besichtigen zuerst den „Affentempel“ etwas ausserhalb der Stadt. Eigentlich leben in Indien in fast allen Tempeln Affen, aber wie es scheint, erst ab einer gewissen Zahl darf sich ein Tempel „Affentempel“ nennen (hier sind es  zwischen 4000 und 5000). Normalweise sind die Affen friedlich, aber es gibt auch, wie in jeder Gesellschaft, ein paar aggressive Artgenossen, also es heisst aufpassen. So muss ich meine Cola Flasche regelrecht gegen fletschende Zähne verteidigen. Einen Affenbiss riskieren möchte ich auf keinem Fall und so versorge ich die Flasche lieber im Rucksack. 

Der Tempel steht in einem trockenen Tal an der Stelle, wo es auf wundersame Weise eine Quelle gibt. In einem Becken baden nicht nur Menschen, sondern auch die Affen suchen hier Abkühlung. So können wir uns überzeugen, dass auch Affen schwimmen können.
Am nächsten Tag besichtigen wir den Stadtpalast. Dort können wir gegen ein saftiges Eintrittsgeld nachfühlen, in welcher Pracht früher die Maharadschas gelebt haben. Seitdem Indien eine Republik ist, mussten sie auf viele Privilegien verzichten und auch die Einnahmen sprudeln nicht mehr so üppig wie damals. So mussten sie ihre Paläste dem gemeinen Publikum öffnen oder sie in Luxushotels umwandeln. Ein Teil vom Palast bewohnt der heutige Maharadscha aber immer noch, eine dezente Tafel mit der Anschrift „PRIVATE“ verhindert jeden Zutritt.







Gleich neben dem Palast steht ein Observatorium mit überdimensionierten Instrumenten, die eher an Monumente erinnern. 
So zum Beispiel die riesige Sonnenuhr, 27 Meter hoch mit der Genauigkeit von 2 Sekunden. Andere, etwas kleinere Instrumente, dienten zur Beobachtung der Sterne.
Nach jedem Stadtbesuch folgt ein Tag im Auto, unterwegs zu der nächsten Stadt. Nach Jaipur folgt Pushkar. Dies ist ein Hindu Pilgerort mit einem Heiligen See. Wir kommen gerade zur Vollmondnach in der die Gebete und die Rituale besonders wirksam sein sollen. Die Strassen des Ortes sind mit Pilgern verstopft, Tausende baden im heiligen See. Die Frauen in ihren farbigen Saris sind in Überzahl, sie geben dem Bild eine farbenprächtige Note.
Pushkar wurde in den Siebziger Jahren bei den Hippies bekannt und gerne besucht. Ab und zu macht es den Eindruck, dass manche Typen geblieben sind. Auch die übliche Hippie Infrastruktur – billige Hotels, Restaurant und Läden mit Silberschmuck, Ledersachen und Hippiekleidung - ist immer noch vorhanden.
Etwa 15 km entfernt liegt Ajmer, zur Abwechslung ein Pilgerort der Muslime. Wir fahren dorthin mit dem öffentlichen Bus, da bekommt man die richtige Tuchfüllung mit der lokalen Bevölkerung. Sobald der Bus ankommt, bricht ein gnadenloser Kampf um die Sitze aus. Die Fahrt dauert zwar nur 30 Minuten aber es ist ein Kampf wie um Leben und Tod. Auch die Frauen kämpfen mit aller Kraft und die arme Romy trägt ein paar blaue Flecken davon. Das hat man davon, wenn man ein bisschen Anstand wahren will. Der Bus, ausgestattet mit vielleicht 30 Sitzen, befördert gegen hundert Personen. 

Auf längeren Strecken werden auch noch zwei bis drei Dutzend Passagiere auf dem Dach mitgenommen. Und somit ist dann die Ladekapazität definitiv ausgeschöpft. Wir haben den Kampf um einen Sitz verloren. Es bleibt uns nur ein Trost – auch wenn wir wegen der Hitze und dem Gedränge ohnmächtig werden sollten, umfallen können wir nicht. Wir sind “eingemauert“ zwischen den anderen Fahrgästen. Die Moschee mit dem Grab einer Heilliga ist das Ziel der Pilger. Indische Logik – wir dürfen mit der Kamera nicht hinein, die Einheimischen aber fotografieren mit ihren Mobiltelefonen wie wild und niemand sagt etwas…
Eine weitere stressige Fahrt bringt uns nach Udaipur. Und wieder geraten wir unbeabsichtigt in die engen Gassen der Altstadt. Das schönste in Udaipur ist der See. Darin, auf einer Insel, steht der berühmte Lake Palace, heute ein Luxushotel. Bekannt ist der Palast aus dem James Bond Film Oktopussy. 


Ob 007 damals wirklich in diesem See geschwommen ist? In dem verschmutzten Wasser würden wir es bestimmt nicht tun. Doch bekanntlich überlebt Mr. Bond alle Gefahren. Wir überlegen kurz hier abzusteigen, doch mit Preisen über 900 Dollar pro Nacht würde unser Reisebudget arg strapaziert und wir müssten bald nach Hause fahren. (ausserdem hat das Inselhotel ja keinen Parkplatz). Auch hier besichtigen wir den Stadtpalast und am Abend eine Folkloreshow. Am besten gefällt uns aber die Bootsfahrt auf dem See.
Nach zwei Ruhetagen sind wir wieder auf Achse. Das Ziel heisst Jodhpur, am Rande der Wüste gelegen. Haben wir gedacht, es kann nicht heisser werden, so haben wir uns geirrt. Natürlich gibt es beim Fahren einen Fahrwind, leider fühlt er sich an wie ein Haar Föhn auf der Stufe II. Ich erinnere mich kurz an meine früheren Mitarbeiter, die schon bei 30 Grad im Büro schlapp machten. Ein Königsreich für eine Klimaanlage! Und für einen Rückspiegel – den haben mir nicht die indische Fahrrowdies kaputt gemacht, sondern dummerweise ich selber beim Einparken. Ein VW Bus Rückspiegel in Indien ist etwa so rar wie ein Pinguin am Nordpol. Selbsthilfe tut Not und so lasse ich in einem Glasgeschäft Spiegelglas zuschneiden (spannend, den Leuten, die kein Englisch sprechen, zu erklären, was ich eigentlich will) und ich klebe mit Zweikomponentenkleber das beschädigte Gehäuse zusammen. Demnächst berichten wir an dieser Stelle ob die Reparatur Bestand hatte.

Donnerstag, 3. Mai 2012

Im Auge des Tigers



Eine weitere Woche sind wir schon in Indien unterwegs. Nach Khajuraho mit seinen Tempeln fahren wir nach Orchha. Es ist ein kleiner Ort mit grosser Vergangenheit. Überall im Dorf und noch mehr in der Umgebung hat es Ruinen von Palästen, Tempeln und anderen Bauten. Reste mächtiger Befestigungswälle säumen den Fluss. Einst war es eine grosse, mächtige Stadt. Das damalige Herrschergebiet grenzte aber an einen noch mächtigeren Nachbarn, an das Mogulreich. Die Mogulen haben den Islam nach Indien gebracht und wo es nicht anders ging, haben sie keine Sekunde gezögert ihre Schwerte zu gebrauchen. Doch durch eine kluge Politik gelang es den Herrschern von Orchha, die der Hindureligion angehörten, gute Nachbarschaftsbeziehungen zu den Mogulen zu pflegen. Dann änderte sich die Lage plötzlich und die Herrscher mussten fliehen, die ganze Stadt blieb zurück.

Was sie hinterlassen haben lässt staunen. Die Vergangenheit, in Stein gegossen, eine verlassene Stadt. Heute lebt sie wieder als UNESCO Kulturerbe. Das bringt natürlich Geld in die Kassen und Beschäftigung für viele selbsternannte Fremdenführer. Neben dem Verkehr auf der Strasse ist dies die zweite grosse Herausforderung in Indien, diesen Führern zu entgehen. Und ihre Tricks sind raffiniert. Bei allem Verständnis, dass sie ein Einkommen brauchen, möchten wir aber die Sehenswürdigkeiten auf unsere Art erleben, ohne dass wir dauernd in einem Englisch, das noch viel schlechter als das meine ist, mit Dingen bequatscht werden, die wir viel besser im Reiseführer nachlesen können. Also vertrösten wir die Plagegeister auf Morgen und laufen alleine dem Fluss entlang von einer Ruine zur anderen. Manchmal geht es über Getreidefelder, die jetzt abgeerntet sind. Das Getreide wird mit einfachen Maschinen gedroschen und mit Traktoren zur Sammelstelle gefahren. Es ist die Erntezeit in Indien jetzt. Einige Bauern haben die Ruinen in Beschlag genommen und wohnen darin oder benutzen sie als Ställe für ihre Kühe. Aber auch andere Bewohner haben sich in den Türmen der verlassenen Tempel niederlassen, die Geier. Sie haben dort einen idealen Nistplatz gefunden und von den steinernen Balkonen können sie ihr Jagdrevier gut überblicken.
Im Dorf selber steht ein gelb angestrichener Hindu-Tempel, der rege besucht wird. Pilger von Nah und Fern bringen Opfergaben, verneigen sich vor den Gottheiten und beten um Segen. Wir verstehen wenig von dieser Religion, von den Göttern und von der Bedeutung der Kulthandlungen. Heute ist der Andrang besonders gross. Einmal im Monat ist ein Tag, der dem Gott Rama geweiht ist, dann haben die Opfer und Gebete eine besondere Kraft. Wir, unbeteiligten Zuschauer schauen und staunen. Alles ist so verwirrend - so wie ganz Indien verwirrend ist.
Agra, die Stadt des Taj Mahal begrüsst uns mit dem ersten platten Reifen der ganzen Reise. Es hilft nichts, in der Mittaghitze muss ich einen Reifenwechsel mit viel Zuschauer rund herum vornehmen. Ich glaube im Leben der Inder gibt es nicht viel Abwechslung und so kommt eine solche Aktion wie gerufen. Bald bildet sich eine Menschentraube um mich herum und Romy muss höllisch aufpassen, dass nichts aus unserem Besitz verschwindet. Nachdem wir nach einigem hin und her ein Hotel gefunden haben, fahren wir mit einer Motorrikscha zum Taj Mahal. Genau gesagt auf die andere Uferseite, die etwas erhöht liegt. Dort soll der Taj beim Sonnenuntergang besonders schön sein. Und es ist wirklich einmalig, majestätisch, erhaben. Doch, was ist das dort unten am Boden? Ameisen gleich laufen Hunderte, nein, es müssen Tausende von Menschen sein, um das Baudenkmal. Und ich denke, wie es vor 39 Jahren war, als ich dort als junger Mann stand. Da war ich fast alleine…

Am nächsten Tag möchten auch wir das  Mausoleum aus nächster Nähe bewundern. Früh am Morgen hält sich die Anzahl der Besucher noch in Grenzen. Und es ist vielleicht das Beste, das Schönste was Indien zu bieten hat: das grosse Tor durchschreiten und sich langsam dem Taj nähern. Schritt für Schritt, ganz gefangen von dieser Schönheit, der Symmetrie, der vollendeten Form. Das Grabmal hat ein mächtiger Herrscher für seine Lieblingsfrau bauen lassen, nachdem sie bei der Geburt ihres 14 Kindes gestorben war. Ein Denkmal der Liebe, über die Jahrhunderte hinweg bestehend, ewig. Eine Liebe die im Stein gemeisselt allen Unbilden der Zeit widersteht. Schon vor 39 Jahren näherte ich mich andächtig dem im weissen Marmor strahlendem Bau. Damals sagte ich mir: noch einmal im Leben möchte ich diesen Ort besuchen, besuchen mit einer Frau, die ich vom Herzen liebe. Heute bin ich mit Romy hier. Sie ist mit Fotografieren beschäftigt. Ich fühle mich glücklich…
Wir schauen uns noch eine weitere, alte verlassene Stadt, Fatehpur Sikri an, dann wenden wir uns der Natur zu. Zuerst besuchen wir den Keoladeo National Park, bekannt für seinen grossen Vogelreichtum. 

Die Landschaft besteht aus vielen kleinen Seen, eine ideale Lebensumgebung für Vögel. Interessanteweise darf man den Park nur mit einem Velo oder einem Rikscha besuchen. Jetzt in der Trockenzeit sind viele der kleinen Seen ausgetrocknet oder bedenklich geschrumpft. Trotzdem sehen wir sehr viel verschiedene Vögel, aber auch andere Tiere wie Hirsche und Antilopen. Dann geht es über 200 km weiter zu Ranthanbhore National Park. Hier soll in Indien die Chance am grössten sein, einen Tiger in der freien Wildbahn zu sehen. Die Parkverwaltung hat die Anzahl der Besucher streng limitiert. Trotzdem hoffen wir, dass wir eine Tour mit einem Jeep buchen können. Am nächsten Tag, früh am Morgen, geht es los. Die Jeeps sind offene Fahrzeuge mit sechs Plätzen. Jedem Fahrzeug wird von der Parkverwaltung ein Sektor zugeteilt. Wir durchstreifen den Park und bald bekommen wir die ersten Tiere zu Gesicht: Hirschen, Antilopen, verschiedene Affenarten, Mungos, Krokodile, viele Vögel, besonders zahlreich darunter die Pfauen. Die Landschaft ist zu dieser Zeit sehr trocken, viele Bäume haben das Laub abgeworfen. Die Tiere sammeln sich an den wenigen Wasserlöchern. Nur der König des Jungles, der Tiger, lässt sich nirgends blicken. Unser Guide bemüht sich sehr, denn wir haben ihm und dem Fahrer bei einer Tigersichtung ein gutes Trinkgeld versprochen. Doch alles Bemühen hilft nicht – einen Tiger können sie nicht heranzaubern. Und so fahren wir etwas enttäuscht zurück zum Hotel. Nun so schnell wollen wir nicht aufgeben, nach dem Mittagessen buchen wir die Nachmittagstour. Ich will es kurz machen, auch bei der zweiten Tour sehen wir leider keinen Tiger. Das müssen wir so akzeptieren sind aber trotzdem zufrieden. Wir haben ein schönes Stück Natur gesehen, die es in Indien langsam nicht mehr gibt. Der Tiger wäre aber eine noch schönere Zugabe...