Donnerstag, 28. Juli 2011

Wir fahren Slalom.

Dass ich mit meinen 66 Jahren noch zu einem Slalomfahrer werde hätte ich mir nie gedacht. Aber ich bin es jetzt! Und das kam so: In Tadschikistan sind viele Strassen schlecht bis sehr schlecht. Man bemüht sich, die Situation zu verbessern, aber bei den hohen Bergen und der Grösse des Landes ist das ein unmögliches Unterfangen. Bei der Schneeschmelze werden Strassen regelmässig mit Geröll verschüttet und die Brücken weggespült. Das Geld reicht kaum für den bitter nötigen Unterhalt.  Darum  nimmt man gerne die Hilfe der Chinesen in Anspruch, doch auch diese haben ihre Prioritäten. Zuerst wollen sie die Verbindungsstrassen nach China ausbauen und sie sind fleissig dabei. Die Strasse, die wir nun fahren, gehört sicher nicht dazu. Übrigens haben wir uns eine neue Klassierung für die Strassen in Tadschikistan ausgedacht. Diese geht von der Klasse 1 bis 4. Die Unterscheidung ist sehr einfach. Die Strassen der Klasse 1 kann man nur im ersten Gang befahren, bei Klasse 2 kann man sogar ab und zu den zweiten Gang einlegen, usw. Doch egal auch welche Klasse, die Strassen sind alle voller Löcher. Meistens kommen sie unerwartet und sind teilweise recht tief. Dass ich versuche, ihnen - wenn möglich – auszuweichen, ist nachvollziehbar. Darum fahre ich Slalom. Bekanntlich hat ein Auto aber zwei Spuren. Umso anspruchsvoller wird das Slalomfahren. Ich bin ständig am Üben, oft aber kracht es trotz aller Anstrengung. Eines der Räder knallt voll in ein Loch. Der Brummi möge mir verzeihen…

Von Dushanbe sind wir Richtung Süden die etwas längere Route gefahren. Angeblich ist sie nicht so schlecht wir die direkte Route. Der Anfang sieht auch gut aus. Über einen Pass und durch einen Tunnel (mit Beleuchtung und Belüftung!) kommen wir flott voran. Die Strasse ist aus einem einfachen Grund so gut – der Präsident stammt aus einem Dorf, das an dieser Strecke liegt. Doch dann ist fertig lustig, die Slalomfahrt beginnt. Aber genug gejammert, nur eine Frage sei erlaubt – wie schlecht muss die kürzere Route sein?  Über einen Pass kommen wir in unzähligen Kehren hinunter zum Pjandz Fluss. Dieser ist ein wichtiger Zufluss der Amu-Darja und bildet auf Hunderte von Kilometern die Grenze zwischen Tadschikistan und Afghanistan. Überschreiten kann man diese Grenze nicht, zu mächtig ist der Fluss, zu reissend die Strömung. Manchmal, nur zweihundert Meter von uns entfernt, liegt Afghanistan, das verbotene Land. Einfache, aber sehr ordentliche Dörfer stehen am Flussufer, untereinander verbunden nur mit Eselspfaden. Keine Autos, keine Stromleitungen, nur ab und zu eine Satelitenschlüssel zeigt etwas Vorschritt. Wir kommen uns wie Voyeure vor, wie Besucher eines Freilichtmuseums wenn wir das Leben auf der anderen Seite des Flusses beobachten. Eselkarawanen ziehen schwer beladen auf schmalen Saumpfaden von Dorf zu Dorf. Neben den Lehmhäusern türmen sich Vorräte an Heu und Stroh. Die Leute sind gezwungenermassen Selbstversorger und darum wird jedes, auch noch so kleine Stück Land, das man bewässern kann, für Getreideanbau genutzt.

Alle diese Dörfer liegen auf einem schmalen Landstreifen und direkt dahinter türmt sich eine 3000 Meter hohe Bergkette auf. Ab und zu sehen wir im zick-zack schmale Eselpfade die bis zum Gipfel führen. Dies ist die einzige  Verbindung zum übrigen Afghanistan. Und wir schauen den Afghanen vom anderen Flussufer, von einer anderen Welt zu. Das heisst, nur der Beifahrer kann es tun, der Fahrer muss sich voll auf die Strasse konzentrieren, denn die Löcher sind sehr hinterlistig – aber das hatten wir ja schon.
Heute ist mein 66-ster Geburtstag. Die zerstochene Romy – ein paar von den listigern Mücken  hat den Weg unter das Moskitonetz gefunden – wünscht mir am Morgen alles Gute zum Geburtstag. Zum Frühstück gibt es Rühreier und Jogurt. Wir haben gestern einen schönen Standplatz auf einer grünen Wiese gefunden und es dauert lange, bis die Sonne hinter den hohen Bergen aufgeht. Doch dann ist es so weit und bald wird es ungemütlich. Obwohl wir schon auf 2000 Meter Höhe sind, wird es schnell heiss. Wir fahren die restliche 60 km bis Khorog. Was sonst weniger als eine Stunde Fahrt bedeuten würde, dauert  hier fast drei Stunden. In Khorog, welches mit 2000 Einwohnern die grösste Stadt weit und breit ist und die sogar einen Flughafen für kleine Propellermaschinen hat, beziehen wir ein spartanisches Zimmer in der Pamir Lodge, denn schliesslich habe ich heute Geburtstag. Es sind einige Reisende hier, die meisten Fahrradfahrer, denn der Pamir Highway ist für einen Fahrradfahrer die Herausforderung schlechthin. Romy kocht schnell eine Suppe, denn am Abend wollen wir „auswärts“ fein essen gehen, denn schliesslich habe ich heute Geburtstag, doch das habe ich ja schon gesagt.
Ja, 66 Jahre und kein bisschen weise. Romy fragte gleich am Morgen: „Warum können wir nicht als normale Pensionierte leben?“ (Die Mückenstiche jucken sie noch grausam.) Ja, warum nicht? Es muss etwas in unserem Blut sein, diese unbestimmte Sehnsucht, die Welt zu erforschen, Neues zu erfahren, unbekannten Menschen zu begegnen, Herausforderungen entgegen zu treten.
Trotz allem bin ich froh, wieder einmal an meinem Geburtstag unterwegs zu sein, auch wenn es manchmal nicht so angenehm und mühsam ist. Und ich bin froh Romy an meiner Seite zu haben – auch wenn sie nachts mit mir schimpft weil ich schnarche.


Ps.
In den nächsten Tagen geht es weiter. Pamir und die ersten über 4000 Meter hohe Pässe liegen vor uns. Wir sind gespannt, es wird die Generalprobe für Tibet sein.

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