Donnerstag, 30. Juni 2011

Iran zum letzten Mal

Nun nähert sich unser Aufenthalt in Iran langsam dem Ende entgegen. Wir hatten viele Vorstellungen und wir haben gekämpft, um in dieses Land einreisen zu dürfen. Was hat sich erfüllt, was war anders, was haben wir gesehen, was haben wir erlebt? Hat es sich für uns gelohnt?
Die etwas überhastete Einreise in Astara spät am Abend, wo die Beamten gar nicht richtig wussten, was sie mit westlichen Touristen anfangen sollen. Denn aus dieser Richtung reist selten jemand mit einem Camper ein. Der erste Eindruck: Chaos. Chaos auch auf den Strassen als wir das Zollgelände verlassen. Nirgends ein Wegweiser, welche Richtung sollen wir einschlagen, wo einen Übernachtungsplatz suchen? Also fuhren wir einfach drauf los. Am Ufer des Kaspischen Meeres haben wir bei einigen Fischerhütten eine Bleibe gefunden und am Morgen einen fangfrischen Fisch bekommen. Im Selbststudium dann eine Lektion, wie man einen Fisch ausnimmt. An der Tankstelle auch Chaos – welches ist die richtige Säule für Benzin, wie tanken ohne Zuteilungskarte, die jeder Einheimische hat? Auch da: das Problem wird gelöst. Leute, zwar meistens einer Fremdsprache nicht mächtig aber überaus freundlich und hilfsbereit, helfen uns überall. Dann die ersten Gespräche mit solchen, die Englisch sprechen. Langsam beginnt sich unser Bild von diesem Land zu bilden. Nur das Wetter hier in der Kaspischen Region passt irgendwie nicht zu Iran. Es ist bewölkt, trüb und ab und zu regnet es. Wir fahren über die Berge ins Landesinnere und es ändert sich schlagartig. Wie mit einem Messer abgeschnitten, verschwinden die Wolken. Ein blauer Himmel und Sonne, mit ihr dann die Hitze. Warm, heisse 40 Grad, viel zu viel. Wir schwitzen und trinken, es hilft nicht wirklich. Unser Brummi hat keine Klimaanlage und so leiden wir und halten Ausschau nach einem perfekten Schatten. Einmal gelingt es uns aus Not sogar auch unter einer Strassenbrücke in einem trockenen Flussbett (siehe Bild).

 
Wir besuchen die touristischen Hochburgen Isfahan, Shiraz, Persepolis, Yazd und wie sie alle heissen. Eines haben sie gemeinsam: obwohl in der UNESCO Weltkulturerbe-Liste aufgeführt, begegnen wir fast keinen Touristen und schon gar nicht Gruppenreisenden. Uns freut es natürlich aber die Iraner möchten schon gerne mehr Besucher. Da kommt aber die Politik ins Spiel, denn die steht sich manchmal selber im Weg, dieses Ziel zu erreichen. Unsere Visageschichte lässt grüssen.
Iran ist im Westen mit vielen Vorurteilen behaftet – etwas davon stimmt, anderes ist vielleicht zur Hälfte wahr. Kopftuch und das islamische Kleiderordnung für Frauen: Klar, Romy musste sich entsprechende Kleidung verschaffen, nein, ein Chador ist nicht vorgeschrieben, auch wenn eine gute Hälfte der Frauen ihn trägt. Die andere Hälfte nimmt es locker. Unter einem modischen Kopftuch lugen viele Haare hervor und mit Make-up wird auch nicht gespart. Ab 9 Jahren müssen die Mädchen ein Kopftuch tragen. Natürlich hören wir auch Geschichten, was alles passieren kann, wenn die Religionspolizei ihres Amtes waltet. Mich, unter einer kommunistischer Regime aufgewachsen, erinnert es an diese Zeiten: wer sich nicht offen auflehnt und wenigstens tut als ob, wird nicht behelligt, die Anderen kommen aber dran. Auf der anderen Seite können wir als Nichtmoslem jedoch fast jede Mosche betreten. Die Bilder des geistigen Führers Khomeini, die an fast jeder Ecke hängen, sagen klar, wer der Herr in diesem Land ist. Mindestens ein Fernseherprogramm sendet ausschliesslich religiöse Themen rund um die Uhr, die anderen dürfen nur nach der islamischen Kleiderordnung gekleidete Schauspielerinnen oder Ansagerinnen zeigen. Dagegen sieht man nirgends die Bilder des Staatspräsidenten Ahmadinejad, der im Westen als ein Bösewicht gilt.
Alkoholische Getränke sind verboten und man kann sie auch nicht kaufen. Bier gibt es nur nicht alkoholisches, wobei nicht einmal das Wort Bier verwendet wird. Es heisst immer „ein nicht alkoholischer Malzgetränk“. Unser Erstauen ist gross, als uns ein deutscher LKW überholt mit Bierreklame auf beiden Seiten: „Bier, das wahre Genuss“. Wir reden bei einem Stopp mit dem Fahrer. Er ist auf dem Weg nach Afghanistan, mit dem flüssigen Nachschub für deutsche Truppen. Ob sich das lohnt?
Auch das Atomprogramm des Irans ist ein Thema im Westen. Wir fahren an dem Forschungszentrum in Natanz vorbei. Natürlich sehen wir nicht viel, denn das Gelände ist riesig und es ist von der Strasse nicht einsehbar. Was wir aber sehen sind Flugabwehrkanonen an jedem Hügel rund um die Anlage. Man ist scheinbar vorbereitet.
Sonst ist die Polizei oder das Militär wenig präsent. Und es ist mehr aus Neugier, wenn die Beamten unser Auto kontrollieren. Einen Camper sehen sie nicht so oft und es ist immer interessant, was die Westler so mit sich herumschleppen.
Internet ist beliebt in Iran. Allerdings erlaubt die Regierung nicht alles. Unsere Blogseite können wir hier nicht erreichen, sie ist einfach blockiert. Es kommt nur eine Warnung in persischer Sprache. Aber findige Helfer in einem Internet Café wissen Rat. Etwas auf der Tastatur herumhacken, ein paar geheime Kodewörter und schon kann ich meinen Blog bearbeiten.
In der Wüste überholen wir einen Touristen mit einem Velo. Wir haben im Auto 40 Grad. Draussen prallt die Sonne umbarmherzig hernieder und dauernd donnern Lastwagen vorbei, die ihn mit einer schwarzen Abgaswolke einhüllen. Wir können auf der engen Strasse nicht anhalten und so erfahren wir nie, wer dieser Mann war und wohin er fuhr. Velo wird in Iran wenig gefahren, da fährt man stolz Auto oder wenigstens ein Motorrad. Das Velo ist nur gut als ein Spielzeug für Kinder. Und es spielt keine Rolle, dass die Städte im Verkehr und Abgase ersticken. Eine Spezialität des iranischen Verkehrs sind die „Speed Breaker“, gemeine Schwelle auf der Fahrbahn, die oft unerwartet auftauchen und das Auto regelrecht in die Luft fliegen lassen. Manchmal sieht man sie, farbig angestrichen vom Weiten, manchmal sind sie gut getarnt. Ihren Zweck, den Verkehr langsam fliessen zu lassen, erfüllen sie aber immer. (hoffentlich liest kein Verkehrsminister diese Zeilen).
Die Jugend – auch sie versucht sich den Umständen entsprechend durchzuschlagen. Wir hören Klagen, wie schwierig ist, es auch mit einer guten Ausbildung, einen Job zu bekommen. Viele wollen ins Ausland, sehen keine Zukunft mehr in Iran. Kanada gilt als gelobtes Land. Andere, hier ausschliesslich Männer, sind zufrieden, wenn sie mit ihren Motorräder in den Strassen ein verrücktes Rennen veranstalten können. Und trotz Geschlechttrennung und arrangierter Ehe, man sieht verliebte Paare, die in aller Öffentlichkeit Händchen halten.


Auch wir waren von der Geschlechttrennung   im öffentlichen Verkehr betroffen. In einem Bus sitzen vorne die Männer, der hintere Teil ist den Frauen vorbehalten. Für uns war dabei die Verständigung das Schwierigste, schliesslich wollten Romy und ich ja auch gemeinsam an der gleichen Haltestelle aussteigen!
Um unser Iranbild abzurunden, haben wir bei einer iranischen Familie ein Zimmer für drei Tage gemietet. Einerseits um der unerträglichen Hitze im Bus zu entfliehen, aber auch, um etwas mehr von der iranischen Kultur und dem Familienleben mitzukriegen. Unser Gastgeber spricht sehr gut englisch und so können wir ihn mit Fragen löchern. Zu Hause tragen die Frauen kein Kopftuch. Wenn ich jedoch unerwartet in das Zimmer trete, ist ihre Reaktion ungefähr so, als würde bei uns eine nackte Frau in ihrer Wohnung von einem fremden Mann überracht. Sie rennen Hals über Kopf aus dem Zimmer um das Kopftuch zu holen. Ja, fremde Länder, fremde Sitten……………

Lange könnte ich noch über dieses Land berichten, über die Begegnungen mit seinen freundlichen Menschen. Leider hat alles ein Ende. Schon bald werden wir eine andere Grenze überschreiten und nach Turkmenistan ausreisen. Bei allem was wir gesehen und erlebt haben – für uns hat sich der Kampf um das Visum  auf jeden Fall gelohnt.


   

Montag, 20. Juni 2011

Hurra, wir haben es geschafft – wir sind Millionäre

Wenn ihr diesen Beitrag lesen könnt, so haben wir, respektive ein pfiffiger iranischer Hacker es geschafft, die Regierung zu überlisten. Denn „Blog.Spot-Seiten“ sind im Iran gesperrt.

Kurz vor der iranischen Grenze ziehe ich mein neues Outfit an, welches ich extra in der Türkei gekauft habe. Es ist ein bis zum Boden reichender Mantel und ein Kopftuch (siehe Bild). Nur das Gesicht und die Hände dürfen sichtbar sein, alles andere muss verdeckt werden. Das sind die Kleidervorschriften für die Frauen im Iran und wer sich nicht daran hält, macht unliebsame Bekanntschaft mir der Religionspolizei.



Vor dem iranischen Grenzübertritt haben wir etwas Bammel. Lassen sie uns etwa, trotz gültigem Visa, doch nicht einreisen? Keiner der Beamten beherrscht die englische Sprache, was die Formalitäten nicht erleichtert. Uns kommt ein junger Iraner zu Hilfe, der leidlich englisch spricht. Er wickelt die ganze Bürokratie für uns ab und wir rechnen damit, dass er uns am Schluss eine gesalzene Rechnung für seine „Dienste“ präsentieren wird. Aber was soll’s, allein hätten wir den Durchblick nicht. Das Zollgelände ist riesig und wir werden von einem Schalter zum nächsten gescheucht. Doch nach etwas mehr als einer Stunde ist der Marathon geschafft – wir haben den erforderlichen Stempel im Pass und auch im Carnet de Passage für die Einfuhr des Autos. Unser junger Helfer will zu unserem grossen Erstaunen kein Geld, lediglich, dass wir bei ihm Devisen umtauschen. Nachdem wir unsere ersten 100 Dollar gewechselt haben (Kreditkarten funktionieren hier wegen den amerikanischen Sanktionen nicht) sind wir Millionäre. Für 100 Dollar bekommen wir sage und schreibe 1,2 Millionen Rial. Wir sind also in einem Land, in dem es fast nur Millionäre gibt!  Die kleinste Note von 1000 Rial hat einen Wert von umgerechnet 7,5 Rappen. Münzgeld ist kaum noch im Umlauf. So sind die Menschen mit Bündeln von Geld unterwegs und können doch nicht viel dafür kaufen. Iran leidet unter einer starken Inflation, die seit der Machtübernahme der Regierung Ahmadinejad im Sommer 2005  im Galopp verläuft. Die Preise für Lebensmittel, Energie und andere Güter des täglichen Lebens sind stark gestiegen und sie sind für viele einfache Iraner kaum noch zu bezahlen. Einige Güter, wie z. B. Benzin sind rationiert. Ein Autofahrer bekommt 60 Liter pro Monat zu einem normalen Preis. Will er mehr tanken, muss er fast das Doppelte bezahlen. Auch wir bekommen nur den teureren Sprit, da wir als Touristen keine Zuteilung vom Staat erhalten. Doch mit einem Literpreis von 55 Rappen können wir uns nicht beklagen, vor allem, wenn wir an die Türkei zurück denken, wo wir fast das Fünffache bezahlt haben.
Die ersten Iraner mit welchen wir ins Gespräch kommen, fragen nach Whisky. Miro meint: „Eure Religion verbietet euch doch Alkohol zu trinken“. „Nein, nein, das sind nur die Mullahs“, entgegnen sie uns.
Sofort haben wir das Gefühl, dass wir im Iran gern gesehene Gäste sind. Sind wir irgendwo zu Fuss unterwegs, rufen sie uns die Menschen zu: „Willkommen im Iran, wir freuen uns, dass ihr unser Land besucht“. Kommen wir mit den Menschen ins Gespräch, wollen sie oft wissen: „ Was denkt ihr von der iranischen Politik und was hält ihr von den Iranern?“ Dann appellieren sie an uns, die Politik des Landes und seine Menschen nicht in einen Topf zu werfen. Wir kommen mit Iranern ins Gespräch, die offen ihre Unzufriedenheit mit der Regierung.  Ansprechen. Ein Angestellter im Internetcafé beschwert sich über die Kleidervorschriften. Wenn sich seine Frau nicht daran halte, bekomme sie als Strafe nie eine Stelle bei der öffentlichen Verwaltung. Im Wiederholungsfall drohe ihr gar Gefängnis. Eine junge Frau beklagt sich, dass sie keinen Job findet. „Ich habe jahrelang studiert und mich gut ausgebildet und nun bin ich arbeitslos“. Mein einziges Vergnügen ist es  mit meinen Freunden zu chaten. Ich will den Iran verlassen, aber wohin soll ich gehen“. Ja, was sollen wir dazu sagen, dass es bei uns auch arbeitslose Jugendliche gibt. Das hilft ihr auch nicht weiter. 

Immer wieder werden wir beschenkt. Als ich einen Lastwagenfahrer fotografiere, wie er auf dem Trittbrett seines Fahrzeuges mit dem Gaskocher Tee zubereitet, hebt er die Lastwagenplane hoch und beschenkt mich mit Tomaten. Die Fischer am Kaspischen Meer beglücken uns mit einem Fisch (den wir nachher ausnehmen müssen, eine neue Erfahrung). Ein anderes Mal überholt uns ein Auto und gibt Zeichen, rechts an den Strassenrand zu fahren. Der Fahrer will uns unbedingt Aprikosen geben und dazu auch noch gleich eine Flasche Wasser, damit wir sie waschen können. Begegnen wir Iranern beim Picknick, was diese sehr gerne und oft tun, laden sie uns ein und wir werden verköstigt. Der Händler am Gemüsestand will kein Geld von mir für den Einkauf. Ich habe die grösste Mühe, die Ware zu bezahlen. 

Die  Hilfsbereitschaft vieler Iraner ist einmalig. Fragen wir nach dem Weg, kommt es immer wieder vor, dass jemand mit dem Auto bis zur entscheidenden Kreuzung voraus fährt, damit wir auch ja die richtige Ausfahrt nehmen, und das, obwohl das Benzin hier rationiert ist. In den grossen Städten lassen wir das Auto möglichst stehen und fahren mit den öffentlichen Bussen zu den Sehenswürdigkeiten. Das ist kein einfaches Unterfangen, denn die Busse sind alle nur in Farsi (persisch) angeschrieben. So fragen wir uns durch und die Leute reichen uns von einem Bus zum nächsten – bis wir am Ziel sind. Der Buschauffeur auf dem Busbahnhof lässt seine Passagiere im Bus warten, um uns den gewünschten Bus am anderen Ende des Platzes zu zeigen. Die Liste liesse sich beliebig fortsetzen.
Es gibt aber auch eine andere Seite der Iraner. Lässt man sie ans Steuer, verwandeln sie sich in sekundenschnelle zu Ungeheuern. Ich schreibe hier bewusst nur in der männlichen Form, denn Frauen hat es nur wenige, die Auto fahren, obwohl sie hier – im Gegensatz zu Saudi Arabien - fahren dürfen. Hatten wir in der Hauptstadt Georgiens das Gefühl, der Verkehr sei mörderisch, mussten wir im Iran feststellen, dass dies erst die Vorstufe zur Hölle war. In iranischen Städten ist die wirkliche Hölle. Auf einer vierspurigen Strasse fahren sieben Autos nebeneinander, niemand kümmert sich um eine Spur. Die Blinker an iranischen Autos sind eine glatte Fehlinvestition, dafür müssen sicher die Hupen mehrmals während eines Autolebens ersetzt werden. Ich falle von einer Ohnmacht in die nächste und höre dumpf zwischendurch Miro fluchen: „Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich zu Hause geblieben, kein Wunder dass ich jeden Tag mehr graue Haare kriege“. Nein, natürlich falle ich nicht in Ohnmacht, das ist nur Wunschdenken. Hier braucht es vier, besser wären sechs Augen, um in diesem Chaos alles Wesentliche mitzukriegen. Immer wieder schreie ich: „Achtung“, weil sich von rechts einer zentimeternah an unser Auto heran gemacht hat. Ich kann die Vollbremsungen, dank denen wir einer Kollision entgangen sind, schon gar nicht mehr zählen. Vielleicht würden aber auch die Iraner im letzten Moment bremsen, doch woher sollen wir diese Sicherheit nehmen. Polizisten lassen sich in den Städten nicht blicken, sie haben wohl längst kapituliert. Auf den Überlandstrassen, die übrigens ausgezeichnet sind, ist es dank des geringeren Verkehrsaufkommens etwas weniger stressig. Doch auch hier ist Vorsicht geboten. Mehrmals müssen wir auf den Pannenstreifen ausweichen, weil uns ein Fahrzeug auf unserer Spur entgegen kommt. Einige haben keine Zeit zu warten, bis der Gegenverkehr vorüber ist. Zu allem Überfluss hupen viele Auto- und Lastwagenfahrer wenn wir auftauchen – einfach als Freude darüber, ein ausländisches Fahrzeug auf iranischen Strassen zu sehen. In diesem Land gibt es, umgerechnet auf die zugelassenen Fahrzeuge, acht Mal mehr Verkehrstote wie in der Schweiz – wen wundert’s.
Seit einigen Tagen habe ich einen lästigen kleinen Untermieter. Gesehen habe ich ihn allerdings noch nie, dafür umso mehr gespürt. Miete bezahlt er keine, im Gegenteil, er beutet mich regelrecht aus. Anfänglich gab ich mich der Illusion hin, dass es Moskitos sind, welche die fürchterlich juckenden Pusteln verursachen. Doch obwohl ich mich mit Antimückenmittel schier vergiftete und nur noch im Moskitonetz nächtigte, es wurde immer schlimmer. Irgendwann konnte ich es nicht länger verdrängen und musste der Tatsache ins Auge sehen: Ich hatte einen Floh. Wie war das möglich? Ich habe nie in fremden Betten geschlafen. Wo nur war der Kerl auf mich gesprungen? Und dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Für die Besichtigung der Moscheen reichen mein Kopftuch und der Mantel nicht aus. Nur mit einem Chador bekleidet darf ich die Gotteshäuser betreten. Diese liegen jeweils beim Eingang und jede Frau, die keinen hat, bedient sich damit. Und bei dieser Gelegenheit hat sich der Floh wohl häuslich bei mir niedergelassen. Alle meine Versuche, ihn wieder los zu werden sind bis heute gescheitert. Ich habe mehrmals die Kleider gewechselt und stundenlang geduscht, nichts hat geholfen. Im Bett unseres Busses kann er auch nicht verstecken, denn ich werde auch tagsüber attackiert. Inzwischen sehe ich aus als hätte ich Masern und Röteln gleichzeitig. Wie hoch ist wohl die Lebenserwartung eines Flohs? Das sind ganz neue Fragen, Fragen die ich mir in meinem bisherigen Leben noch nie gestellt habe. Ist mein Untermieter vielleicht gar ein schwangeres Weibchen und deshalb besonders hungrig? Wie viele Eier legt ein Floh? Und wie hoch ist die Kleinflohkindersterblichkeit? Bei der ausgiebigen Nahrung von mir dürfte sie gering sein. Auch meine Hoffnung, dass der Floh irgendwann auf Miro überspringt, hat sich bis jetzt nicht erfüllt. Er ist mir treu ergeben.
Nach einigen Tagen im Iran, stelle ich fest, dass die Kleidervorschriften der Frauen in der Praxis nicht mehr so eng sind. Vor allem junge Frauen nehmen sich Freiräume. Oft tragen sie das Kopftuch als modisches Accessoire und sie lassen keck ein paar Haarstränen hervor schauen. Die taillebetonten Mäntel reichen noch knapp bis zu den Knien und darunter tragen sie enge Jeans. Ich habe es ihnen gleich getan und mir eine Hemdbluse mit langen Ärmeln, die bis zu den Knien reicht, gekauft. Bis jetzt hat mich die Religionspolizei nicht behelligt, und wenn schon, ich will ja keinen Job bei der iranischen Verwaltung. Mindestens die Hälfte der iranischen Frauen trägt allerdings einen Chador – auch viele junge Frauen – obwohl das von der Regierung gern gesehen, aber nicht vorgeschrieben ist. In meinem Mantel habe ich es schlicht nicht mehr ausgehalten. Seit Tagen haben wir über 40 Grad und das, obwohl wir uns immer auf einer Hochebene von ca. 1500 Metern bewegen. Fast drei Viertel Irans sind Wüste und die Sonne brennt gnadenlos vom Himmel. Auch in der Nacht fallen die Temperaturen nicht unter dreissig Grad. Unser Denken wird hauptsächlich von einem Wort beherrscht: SCHATTEN, wo gibt es den nächsten Schatten?

Morgen starten wir zur Durchquerung der Kavir-Wüste. Es erwarten uns 700 Kilometer Sand, Geröll und Hitze in einem fast menschenleeren Gebiet.

Mittwoch, 8. Juni 2011

Der Fünfer und das Weggli.

Viele Bekannte haben mit uns gebangt und uns viel Glück gewünscht. Es geht um das leidige Thema „Iran Visum“, das uns (auch bei Miro) schlaflose Nächte gebracht hat. Drei mal wurde uns das Visum von der iranischen Botschaft in Bern verweigert, trotz des Einschaltens einer Visa Agentur. Ein Plan „B“ war nötig, und das war die  Route über Georgien, Aserbaidschan und dann mit der Fähre über das Kaspische Meer nach Turkmenistan. Aber uns den Iran mit den schönen Baudenkmälern und seiner reichen Kultur (trotz Chador für Romy) entgehen zu lassen – nein, das wollten wir auf keinen Fall. Also ging unser Kampf weiter. Von unterwegs wurde eine iranische Agentur beauftragt, die Authorisationsnummer, ohne die es kein Visum gibt, beim Aussenministerium in Teheran zu beantragen. Das Hoffen und Bangen ging also weiter, der Antrag wurde wieder abgelehnt. Im Lonely Planet Forum schreiben viele Enttäuschte: „Einmal abgelehnt, immer abgelehnt“ und es schien der Wahrheit zu entsprechen. Doch mit dieser „Iranvisa.com – Agentur“ haben wir einen guten Riecher gehabt. Diese Leute gaben sich nicht geschlagen und haben sofort ein Widererwägungsgesuch gestellt. Mittlerweile waren wir schon in Erzerum und versuchten dort auf dem iranischen Konsulat unser Glück. Der Konsul teilte uns freundlich aber bestimmt mit, dass er uns ohne diese ominöse Nummer kein Visum ausstellen darf. Enttäuscht wollten wir schon Richtung Georgien abreisen. Bevor wir aber Erzerum verliessen wurde noch die E-Mail – Box gecheckt und siehe da – die alles entscheidende Nummer aus Teheran war da!

Sofort gingen wir zurück zum Konsulat und nachdem man uns um  150 Euro  „erleichtert“ hatte war das lange ersehnte Visum im Pass. Nun aber kam  Romy eine neue Idee, eben „den Fünfer und das Weggli“, das heisst, nicht direkt aus der Türkei in den Iran einzureisen, sondern eben über die Länder aus dem Plan „B“ zu fahren. Schliesslich hatten wir ja bereits Geld in Visa für diese Staaten angelegt. Also fuhren wir Richtung Norden nach Georgien. Das Passieren der Grenze war ein Kinderspiel. Die Grenzbeamten machen von jedem von uns ein Foto, für was auch immer (vielleicht für ihr privates Fotoalbum)? Es gibt noch Stacheldraht und Wachtürme, die nun still vor sich hin rosten, aus der Zeit, als Ost und West hier eine gemeinsame Grenze hatten,. Georgien, eine ehemalige sowjetische Republik, ist seit 1991 ein selbständiger Staat. Wegen des Konfliktes mit Russland über die abtrünnige Regionen Süd Ossetien und Abchasien steht das Land in den Schlagzeilen und dazu werden pünktlich zu unserer Einreise Unruhen im Land gemeldet. Was wartet hier auf uns?  Die Armut ist auffällig. Viele Fabriken und ehemaligen Kolchosen sind nur noch Ruinen, halb zerfallen, alles Brauchbare abmontiert - es sieht aus wie nach dem Krieg. Geschwindigkeitsbegrenzungstafeln braucht es in diesem Lande keine. Die zahllosen Schlaglöcher in den Strassen (so die denn diese Bezeichnung verdienen) sorgen automatisch für eine angemessene Fahrweise. Es gibt wenige Neubauten, man sieht dem Land den wirtschaftlichen Niedergang sofort an. Alles wirkt marode und verkommen. Doch die Leute machen solche Unzulänglichkeiten mit ihrem freundlichen Wesen und ihrer Hilfsbereitschaft wett. Miro kramt seine bescheidenen Schulkenntnisse der russischen Sprache aus der Hirntruhe und siehe da, eine Verständigung ist möglich. Allerdings sind es eher ältere Leute, die noch russisch sprechen, die junge Generation lernt nicht mehr russisch in der Schule.
Wir besuchen die Höhlenklöster bei Vardzia in einer riesigen Felswand. Generationen von Mönchen haben hier unzählige Höhlen gegraben. Ein Teil davon wird von ihnen heute noch bewohnt. Wir kommen gehörig ins Schwitzen, denn es ist fast eine Kletterei um auch die oben gelegen Höhlen und Felsenkirchen zu erreichen.
Um in die Hauptstadt Georgiens zu gelangen, fahren wir eine kleine Strasse, die  über einen 2400 Meter hohen Pass führt. Unten bei der Abzweigung fragt Miro mehrmals nach den Pistenverhältnissen. Von verschiedenen Personen wird bestätigt, dass der Pass offen ist, also fahren wir los. Die bittere Wahrheit kommt  nach mehr als 30 km übelster Piste ans Tageslicht. Oben liegt noch meterweise Schnee, ein Durchkommen ist unmöglich. Dafür ist dann die längere Strasse sehr gut ausgebaut. Unterwegs kommen uns riesige Schafherden entgegen, oft mehrere Hundert Tiere laufen den Leitschafen hinterher. Esel und Maultiere tragen die Ausrüstung, die Hirten hoch zu Ross, haben alles im Überblick. Sie ziehen zu den Sommerweiden hoch im Gebirge.


Tbilisi begrüsst uns mit  Verkehr für den es nur ein passendes Wort gibt: MÖRDERISCH. Die Autofahrer scheinen sich um keine Verkehrsregel zu kümmern, falls sie überhaupt welche kennen. Es gilt nur vorwärts zu kommen, so schnell wie möglich. Und nur wer starke Nerven hat, kann hier bestehen. Es wird gedrängt, rechts überholt, den Weg abgeschnitten, wild gehupt, kurz - für einen erzogenen Schweizer Autofahrer ein reiner Horror, der den Adrenalinspiegel in ungeahnte Höhen treibt. Dazu gibt es in der ganzen Stadt keinen einzigen Wegweiser. Es grenzt schon an ein kleines Wunder, dass Miro unseren demolierten Bus und uns hier heil durch bringt.
Georgien möchte sehr gerne in die EU. Doch das ist noch ein sehr weiter Weg. Vielleicht ist das der Grund, dass bei allen öffentlichen Einrichtungen schon jetzt die EU Fahnen wehen. Wenigstens so tun als ob, und hoffen der Wunsch gehe irgend einmal in Erfüllung…….
Auf der Fahrt in Richtung Aserbaidschan wollen wir auf einem Hügel mit einem mehreren Meter hohen Kreuz übernachten. Doch oh je, schon bald kommt die Polizei. Auf unsere Frage, ob wir hier über Nacht stehen können, antworten sie zu unserem Erstaunen: „Ja, das ist überhaupt kein Problem“. Dann schenken sie uns eine Flasche Mineralwasser, echt georgisches, wie sie betonen und später bringen sie uns auch noch Eis, natürlich ebenfalls echt georgisch.
Am nächsten Tag dann die neue Grenze, wir betreten die zweite ehemalige Sowjetrepublik, indem wir in Aserbaidschan einreisen. Der Zöllner schaut in unser Auto und fragt: Ist das nun ein Auto oder ein Haus?“ „Ein Autohaus“, gebe ich ihm zur Antwort und damit gibt er sich zufrieden. Haben wir bis jetzt auf unserer Reise oft gefroren (ich musste wochelang die langen Unterhosen montieren) wird es hier schlagartig hiess, über 35 Grad. Sofort merkt man, dass hier ein anderer Wind weht. Das Land hat grosse Öl und Gasvorräte, es ist also  reich. Überall sind neue Gebäude, neue Strassen, neue Autos. Geldautomaten an jeder Strassenecke. Für uns sehr erfreulich, das Benzin kostet nur etwa 65 Rappen, (im Gegensatz zu der Türkei, wo wir Fr. 2.55 für einen Liter berappen mussten), da macht das Tanken noch Freude. Um die Tankstellen sind Rosengärten angelegt, eine wahre Augenfreude. Zuerst fahren wir am Kaukasus entlang, wo es schön grün ist.  Doch je mehr wir uns der Hauptstadt Baku nähern, desto wüstenartiger wird die Landschaft. Die Autofahrer in Baku haben ungefähr den gleichen Fahrstil wie die Georgier.
Wahrscheinlich sind sie bei ihnen in der Fahrschule gegangen. Etwas haben sie aber irgendwo anders gelernt – zu unserem grössten Erstaunen  wird am Fussgängerstreifen angehalten! Doch wie wir feststellen, alles haben sie noch nicht so gut im Griff. In nur 10 Minuten sehen wir auf der Stadtautobahn drei Unfälle. Bei einem gehen die beiden Fahrer der ziemlich üblich zugerichteten Autos mit den Fäusten aufeinander los – und das mitten auf der Autobahn. Einer der Kampfhähne blutet im Gesicht. Ich kann nicht sagen, ob es vom Unfall oder vom Ringkampf ist.  In Baku schicken wir Christine, mit welcher wir Tibet bereisen wollen, eine SMS. Vielleicht ist sie ja irgendwo in der Nähe. Und siehe da, sie antwortet, dass sie in ungefähr einer Stunde ebenfalls in der Hauptstadt sein wird. Es dauert dann allerdings über vier Stunden, denn sie hat den Verkehr hier unterschätzt. Die Wiedersehensfreude ist gross. Wir verbringen zusammen einen Tag an einem Strand am Kaspischen Meer, bevor sie mit der Fähre nach Turkmenistan übersetzt. Wir fahren zur iranischen Grenze. Ein neues Land – ein neues Abenteuer kommt auf uns zu. Wir haben also den Fünfer und das Weggli bekommen: Georgien, Aserbaidschan und nun reisen wir in Iran ein. Eine Frage beschäftigt uns aber: Werden uns die Mullahs gut gesinnt sein?