Amritsar – vor 39 Jahren war es für uns die
erste indische Stadt auf dem Hippie-Trail. Seit Pakistan unsicher geworden ist
verirren sich nur wenige Langzeitreisende hierher. Heute ist die Stadt
hektisch, chaotisch und erstickt im Verkehr. Diesmal aber lasse ich mich nicht
von Navi in die engen, verstopften Gassen der Altstadt locken und so finden wir
ohne Probleme das Guest House. Amritsar ist vor allem die heilige Stadt der
Sikhs. Die Anhänger dieser Religion, an ihren turbanähnlichen Kopfbedeckungen
erkennbar, wohnen mehrheitlich hier, im indischen Teilstaat Punjab. Der Goldene
Tempel ist der Ort, an dem sie ihre heiligen Bücher aufbewahren, die ohne
Unterbrechung gelesen werden. Er ist für sie wie der Vatikan für die Christen
oder Mekka für die Moslems.
Manchmal kann man in Indien unerwartete
Wunder erleben. Wir durchstreiten das Tor zum Goldenen Tempel und gleich
befinden wir uns in einer anderen Welt. War es gerade noch erdrückend, rastlos,
lärmig und hetzend, ist hier Ruhe. Sphärische Klänge und Gesänge erfüllen die
Luft, die Menschen sind ruhig und freundlich miteinander. Sogar die Hitze
scheint nicht mehr so erdrückend zu sein wie sie gerade noch draussen war. Der
Goldene Tempel, in dem das heilige Buch der Sikhs gelesenwird, steht auf einer
Insel inmitten des heiligen Sees, durch einem Steg mit dem Ufer verbunden. Der
letzte Guru bestimmte, dass keine Gurus nach ihm kommen werden, sondern dass das
Heilige Buch fortan der Guru sein wird. Die Gläubigen lauschen andächtig den
Worte des Vorlesers, bringen Opfer dar und baden im heiligen See. Die Sikhs
gelten allgemein als tüchtig und tatsächlich ist hier alles perfekt
organisiert. Alle Pilger werden unentgeltlich in einer riesigen Kantine verköstigt.Ttäglich
werden mehr als 10 000 Essen ausgegeben. So effizient wie hier wird in Indien
selten gearbeitet.
Jetzt haben wir die Hitze endgültig satt. Was
sollen wir aber tun? Romy findet die einzig mögliche Lösung – wir müssen in die
Höhe. Wir finden sie in Dharamsala auf 1800 Meter . Bis wir
dieses Ziel erreichen haben wir etwas zu erdulden. Denn gerade heute findet
hier ein wichtiges Kricketspiel zwischen Punjab und Delhi statt. Weil die Inder
in Kricket mindestens so vernarrt sind wie die Deutschen in Fussball, sind
sämtliche Zufahrtstrassen durch angereiste Fanfahrzeuge blockiert. Nichts geht
mehr, stundelang stecken wir im Stau.
Das Städtchen Dharamsala war eine „Hill
Station“, wo die britischen Kolonialbeamten in heissen Monaten Erholung suchten.
Tatsächlich, hier ist es nur noch 34 Grad – herrlich. Endlich können wir wieder
tief durchatmen. 1959, als die Chinesen Tibet besetzten und viele Tibeter
fliehen mussten, hat die indische Regierung dem Dalai Lama in diesem Ort Exil
angeboten. Etwa 10`000 Tibeter sind ihm seither gefolgt. Und so fühlen wir uns hier
fast wie im Tibet. Gebetsfahnen flattern im Wind, Mönche in roten Roben eilen
hin und her und Frauen in typisch tibetischen Kleidern beherrschen das
Strassenbild. Statt „Namaste“ hören wir wieder „Tashi Delek“ und „O mani padme
hum“ klingt aus den Lautsprechern. Wir besuchen verschiedene Tempel und sogar
eine typisch englische Kirche aus der Kolonialzeit finden wir. Vor allem aber
geniessen wir das angenehme Klima. Leider ist der Dalai Lama nicht zu Hause, er
ist irgendwo im Ausland unterwegs.
Sowieso sind die Zeiten, wo man als normaler
Sterblicher beim ihm eine private Audienz bekommen konnte, längst vorbei. Der
ganze Exilregierungkomplex ist mit hoher Mauer und Stacheldraht umgeben und von
indischen Sicherheitskräften bewacht. Nur der grosse Tempel ist der
Öffentlichkeit zugänglich.
Nach drei geruhsamen Tages müssen wir wieder
hinunter in die Hitze, aber nur für zwei Tage. Unser Ziel ist Srinagar in
Kaschmir, das sich durch ein mildes Klima auszeichnet. Doch der Weg hat es in
sich. Viele Inder haben zur Zeit Ferien und sie haben das gleiche Ziel wie wir–
der Hitze zu entfliehen. So ist die kurvige Bergstrasse völlig verstopft, denn zu
ihnen gesellen sich die untermotorisierten Lastwagen und viele Militärkonvois.
Langsam, sehr langsam kommen wir voran. Kaschmir ist seit Jahrzehnten ein Zankapfel zwischen Indien
und Pakistan, schon drei Kriege wurden ausgefochten zwischen diesen Ländern und
die Grenze besteht nur aus einer Demarkationslinie. Neu kommen dazu noch
islamische Fundamentalisten, die im Geheimen von Pakistan unterstützt, für einen
Anschluss an Pakistan kämpfen. Darum begegnen wir Soldaten und
Sicherheitseinheiten auf Schritt und Tritt. Im Moment ist die Lage ruhig und
entspannt, wie uns die Einheimischen bestätigen.
In Srinagar wohnt man auf einem Hausboot. Sie
liegen - vielleicht zu Hunderten - vertäut am Ufer des Dal-Sees. Diese
Tradition haben die Engländer eingeführt. Sie suchten in dem angenehmen Klima
Erholung in den heissen Sommermonaten und die Gegend war ideal dafür. Der
Maharadscha hat ihnen nicht gestattet hier Land zu erwerben um Häuser zu bauen.
Die Lösung waren die Hausboote. Teils sind es recht grosse Ungetümer mit bis zu
vier Schlafzimmern, einem Salon und natürlich mit einem Badezimmer mit
Badewanne. Auch ein Balkon über dem Wasser fehlt nicht. Die Boote sind mit altenglischen,
aus Holz geschnitzten Möbeln ausgestattet. Heute sind es indische Touristen,
die hier Ferien machen. Wie wir bei den Einheimischen herausgehört haben, sind
sie aber nicht besonders beliebt. Sie fallen in Horden ein, sind laut und
lassen viel Abfall liegen (dieses Vorurteil müssen wir leider bestätigen). Doch
sie bringen Geld und so sind zurzeit praktisch alle Hausboote belegt. Nur über
den Kontakt mit einer Schweizerin, die hier mit einem Kashmiri verheiratet ist,
bekommen wir ein etwas bescheidenes Hausboot, denn wir möchten hier in Ruhe ein
paar Tage ausspannen. Und so sitzen wir nun auf der Terrasse über dem Wasser,
Ruderboote gleiten vorbei, Leute winken uns freundlich zu, Wasservögel kreisen
am Himmel, die Sonne scheint, gerade wird uns ein gut englisches Frühstück
serviert – was kann man sich noch mehr wünschen...
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