Eine weitere Woche sind wir schon in Indien unterwegs. Nach Khajuraho mit
seinen Tempeln fahren wir nach Orchha. Es ist ein kleiner Ort mit grosser
Vergangenheit. Überall im Dorf und noch mehr in der Umgebung hat es Ruinen von
Palästen, Tempeln und anderen Bauten. Reste mächtiger Befestigungswälle säumen
den Fluss. Einst war es eine grosse, mächtige Stadt. Das damalige Herrschergebiet
grenzte aber an einen noch mächtigeren Nachbarn, an das Mogulreich. Die Mogulen
haben den Islam nach Indien gebracht und wo es nicht anders ging, haben sie keine
Sekunde gezögert ihre Schwerte zu gebrauchen. Doch durch eine kluge Politik
gelang es den Herrschern von Orchha, die der Hindureligion angehörten, gute
Nachbarschaftsbeziehungen zu den Mogulen zu pflegen. Dann änderte sich die Lage
plötzlich und die Herrscher mussten fliehen, die ganze Stadt blieb zurück.
Was
sie hinterlassen haben lässt staunen. Die Vergangenheit, in Stein gegossen,
eine verlassene Stadt. Heute lebt sie wieder als UNESCO Kulturerbe. Das bringt
natürlich Geld in die Kassen und Beschäftigung für viele selbsternannte
Fremdenführer. Neben dem Verkehr auf der Strasse ist dies die zweite grosse
Herausforderung in Indien, diesen Führern zu entgehen. Und ihre Tricks sind
raffiniert. Bei allem Verständnis, dass sie ein Einkommen brauchen, möchten wir
aber die Sehenswürdigkeiten auf unsere Art erleben, ohne dass wir dauernd in
einem Englisch, das noch viel schlechter als das meine ist, mit Dingen bequatscht
werden, die wir viel besser im Reiseführer nachlesen können. Also vertrösten
wir die Plagegeister auf Morgen und laufen alleine dem Fluss entlang von einer
Ruine zur anderen. Manchmal geht es über Getreidefelder, die jetzt abgeerntet
sind. Das Getreide wird mit einfachen Maschinen gedroschen und mit Traktoren
zur Sammelstelle gefahren. Es ist die Erntezeit in Indien jetzt. Einige Bauern
haben die Ruinen in Beschlag genommen und wohnen darin oder benutzen sie als
Ställe für ihre Kühe. Aber auch andere Bewohner haben sich in den Türmen der
verlassenen Tempel niederlassen, die Geier. Sie haben dort einen idealen
Nistplatz gefunden und von den steinernen Balkonen können sie ihr Jagdrevier gut
überblicken.
Im Dorf selber steht ein gelb angestrichener Hindu-Tempel, der rege
besucht wird. Pilger von Nah und Fern bringen Opfergaben, verneigen sich vor
den Gottheiten und beten um Segen. Wir verstehen wenig von dieser Religion, von
den Göttern und von der Bedeutung der Kulthandlungen. Heute ist der Andrang
besonders gross. Einmal im Monat ist ein Tag, der dem Gott Rama geweiht ist,
dann haben die Opfer und Gebete eine besondere Kraft. Wir, unbeteiligten
Zuschauer schauen und staunen. Alles ist so verwirrend - so wie ganz Indien
verwirrend ist.
Agra, die Stadt des Taj Mahal begrüsst uns mit dem ersten platten Reifen
der ganzen Reise. Es hilft nichts, in der Mittaghitze muss ich einen
Reifenwechsel mit viel Zuschauer rund herum vornehmen. Ich glaube im Leben der
Inder gibt es nicht viel Abwechslung und so kommt eine solche Aktion wie
gerufen. Bald bildet sich eine Menschentraube um mich herum und Romy muss
höllisch aufpassen, dass nichts aus unserem Besitz verschwindet. Nachdem wir
nach einigem hin und her ein Hotel gefunden haben, fahren wir mit einer Motorrikscha
zum Taj Mahal. Genau gesagt auf die andere Uferseite, die etwas erhöht liegt. Dort
soll der Taj beim Sonnenuntergang besonders schön sein. Und es ist wirklich
einmalig, majestätisch, erhaben. Doch, was ist das dort unten am Boden? Ameisen
gleich laufen Hunderte, nein, es müssen Tausende von Menschen sein, um das
Baudenkmal. Und ich denke, wie es vor 39 Jahren war, als ich dort als junger
Mann stand. Da war ich fast alleine…
Am nächsten Tag möchten auch wir das Mausoleum aus nächster Nähe bewundern. Früh am
Morgen hält sich die Anzahl der Besucher noch in Grenzen. Und es ist vielleicht
das Beste, das Schönste was Indien zu bieten hat: das grosse Tor durchschreiten
und sich langsam dem Taj nähern. Schritt für Schritt, ganz gefangen von dieser
Schönheit, der Symmetrie, der vollendeten Form. Das Grabmal hat ein mächtiger
Herrscher für seine Lieblingsfrau bauen lassen, nachdem sie bei der Geburt
ihres 14 Kindes gestorben war. Ein Denkmal der Liebe, über die Jahrhunderte
hinweg bestehend, ewig. Eine Liebe die im Stein gemeisselt allen Unbilden der Zeit
widersteht. Schon vor 39 Jahren näherte ich mich andächtig dem im weissen Marmor
strahlendem Bau. Damals sagte ich mir: noch einmal im Leben möchte ich diesen
Ort besuchen, besuchen mit einer Frau, die ich vom Herzen liebe. Heute bin ich
mit Romy hier. Sie ist mit Fotografieren beschäftigt. Ich fühle mich glücklich…
Wir schauen uns noch eine weitere, alte verlassene Stadt, Fatehpur Sikri
an, dann wenden wir uns der Natur zu. Zuerst besuchen wir den Keoladeo National
Park, bekannt für seinen grossen Vogelreichtum.
Die Landschaft besteht aus
vielen kleinen Seen, eine ideale Lebensumgebung für Vögel. Interessanteweise
darf man den Park nur mit einem Velo oder einem Rikscha besuchen. Jetzt in der
Trockenzeit sind viele der kleinen Seen ausgetrocknet oder bedenklich geschrumpft.
Trotzdem sehen wir sehr viel verschiedene Vögel, aber auch andere Tiere wie
Hirsche und Antilopen. Dann geht es über 200 km weiter zu Ranthanbhore National
Park. Hier soll in Indien die Chance am grössten sein, einen Tiger in der
freien Wildbahn zu sehen. Die Parkverwaltung hat die Anzahl der Besucher streng
limitiert. Trotzdem hoffen wir, dass wir eine Tour mit einem Jeep buchen
können. Am nächsten Tag, früh am Morgen, geht es los. Die Jeeps sind offene
Fahrzeuge mit sechs Plätzen. Jedem Fahrzeug wird von der Parkverwaltung ein
Sektor zugeteilt. Wir durchstreifen den Park und bald bekommen wir die ersten
Tiere zu Gesicht: Hirschen, Antilopen, verschiedene Affenarten, Mungos,
Krokodile, viele Vögel, besonders zahlreich darunter die Pfauen. Die Landschaft
ist zu dieser Zeit sehr trocken, viele Bäume haben das Laub abgeworfen. Die
Tiere sammeln sich an den wenigen Wasserlöchern. Nur der König des Jungles, der
Tiger, lässt sich nirgends blicken. Unser Guide bemüht sich sehr, denn wir
haben ihm und dem Fahrer bei einer Tigersichtung ein gutes Trinkgeld
versprochen. Doch alles Bemühen hilft nicht – einen Tiger können sie nicht
heranzaubern. Und so fahren wir etwas enttäuscht zurück zum Hotel. Nun so
schnell wollen wir nicht aufgeben, nach dem Mittagessen buchen wir die
Nachmittagstour. Ich will es kurz machen, auch bei der zweiten Tour sehen wir leider
keinen Tiger. Das müssen wir so akzeptieren sind aber trotzdem zufrieden. Wir
haben ein schönes Stück Natur gesehen, die es in Indien langsam nicht mehr gibt.
Der Tiger wäre aber eine noch schönere Zugabe...
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