Der letzte, von uns besuchte Ort in Nepal heisst Lumbini. Hier wurde Buddha geboren. Um seine Geburt rangen sich viele Mythen. Für alle Buddhisten ist dies ein heiliger Ort und eine der wichtigsten Pilgerstätten. Fast alle buddhistischen Nationen haben hier Tempel gebaut oder wollen es zumindest noch tun. Auch eine World Peace Pagoda steht hier. Das riesige Gelände erkunden wir mit einer Rikscha. Die nepalesische Regierung hat grosse Pläne, sie will hier eine internationale buddhistische Begegnungsstätte errichten (und viele Pilger anlocken).
Bis dahin ist aber noch ein langer Weg. Nur wenige Tempel sind schon fertig, an anderen wird fleissig gebaut. Die Strassen fehlen auch noch und unser Rikscha Fahrer muss sich über Feldwege plagen. Doch die Absicht ist lobenswert und schliesslich ist der Buddhismus die friedliche Religion von über eine Milliarde Menschen.
Nun sind wir aber da. Nach einigen Komplikationen mit dem nepalesischen Zoll – das Auto ist drei Wochen länger in Nepal gestanden als erlaubt, weshalb es die Zöllner kurzerhand beschlagnahmen wollten – heisst es:„Welcome to India“ und wir tauchen in eine ganz andere Welt ein. Haben wir gedacht, wir wären beileibe keine Anfänger was das Reisen betrifft, müssen wir nun zugeben, was wir hier antreffen ist wirklich neu und vor allem anders. Das unbeschreibliche Chaos ist hier nämlich der Normalzustand.
Am meisten spüren wir es auf der Strasse. Wir fragen uns, warum hat man bei uns die Strassenverkehrsordnung ausgedacht, es geht auch ohne, wie wir hier erfahren (müssen). Die Strasse ist ein Kampfarena und alle – Autos, Lastwagen, Rikschas, Motorräder, Velos, kurz alles was Räder hat und Fussgänger, Kühe, Hunde, Hühner, also auch alles was Beine hat; versucht sich sein Recht zu erkämpfen -sei es mit Kraft des Stärkeren (Lastwagen und Busse), Aggressivität (Motorräder) oder stoischer Ruhe (Kühe). Nicht einmal die Grundregel – Linksverkehr – wird eingehalten. Wider Erwarten fliesst der Verkehr trotzdem. Da müssen auch wir uns vorwärts kämpfen, sind aber durch zwei Dinge behindert: Erstens sind wir zu einer bestimmten Fahrweise erzogen worden und zweitens hat der Brummi das Lenkrad auf der falschen Seite. Es heisst aufpassen, höllisch aufpassen, auf das Unmögliche gefasst sein. Und das Unmögliche kann in jedem Moment passieren. Da taucht ein Motorrad wie aus dem nichts auf, wo doch eben noch niemand war. Fahrzeuge biegen aus einer Nebenstrasse ein ohne dass ihre Fahrer den Verkehr auf der Hauptstrasse nur mit einem Blick beachtet, Busse und Rikschas lassen ihre Fahrgäste grundsätzlich auf der Strasse ein- und aussteigen, macht nichts, dass auch die nachfolgenden Fahrzeuge warten müssen. Am gefährlichsten sind die „Überholkamikatzen“, die an den unmöglichen Orten überholen - ohne sich um den Gegenverkehr zu kümmern. Immer wieder müssen wir stark bremsen oder sogar von der Strasse weichen, um nicht frontal erwischt zu werden. Asphalt ist begehrt, das wissen auch die Velofahrer und sie weichen nur ungern auf den unbefestigten Seitenstreifen aus. Es gibt hier sogar auch Autobahnen, eigentlich sind es nur richtungsgetrennte Strassen, doch alle oben erwähnten Verkehrsteilnehmer sind auch hier anzutreffen. Ich will meinen Augen nicht trauen als mir auf der Überholspur ein Traktor entgegen kommt. Nur die Kühe geniessen eine Sonderstellung. Wegen ihnen wird gebremst und geduldig gewartet, bis sie langsamen Schrittes die Strasse überqueren. Eigentlich logisch – wer will schon seine wiedergeborene Urgrossmutter überfahren? Vielleicht erinnert sich jemand, was ich in diesem Blog über den Verkehr im Iran geschrieben habe. Jetzt sehne mich dort zurück und entschuldige mich still. In einem Dorf muss Romy Verkehrspolizistin spielen. Wegen einer Engstelle steht der Verkehr still (es heisst, er behindert sich gegenseitig). Den Indern würde es nicht einfallen, selber aktiv zu werden. Die Polizei hat ihrerseits voll kapituliert und kümmert sich nicht um die Verkehrsregelung. Es wäre auch unmöglich, da müssten abertausende von Polizisten eingesetzt werden um die Nation umzuerziehen. Und in solchen Momenten fällt mir das esoterische Gleichnis vom Wassertropfen ein. Sich widerstandlos dem Strom hinzugeben – man schwimmt mit dem Strom, stösst nirgends an und spürt keinen Widerstand….…
Ein weiteres Unbill ist die Hitze. Über 40 Grad haben wir in den letzten Tagen, die Sonne knallt mit voller Kraft auf das verdorrte Land. Wir hätten unsere Reiseplanung anders machen müssen, jetzt bleibt uns nur literweise zu trinken. Schlafen im Auto ist unmöglich, zu heiss und bei offenen Türen stürzen sich die Stechmücken auf uns.
Aber Indien hat auch seine schönen Seiten. Frauen in farbenprächtigen Saris, Gerüche unbekannter Gewürze, exotische Gerichte, Gärten, Paläste, Landschaften und faszinierende Kulturen. Wir sind in Varanasi angekommen, dem früheren Benares, gelegen am Ganges, dem grössten Fluss Indiens. Die Stadt ist den Hindus heilig. Unzählige Treppen, Ghats genannt, führen zum Fluss. Gläubige baden in seinem Wasser und trinken von der Brühe, tauchen in den Fluten und nehmen auch Wasser in kleinen Behälter mit nach Hause, damit die Daheimgebliebenen etwas von seinen Segnungen erfahren. Andere lassen sich den Kopf kahl rasieren und opfern die Haare dem Fluss, denn der Fluss ist nicht irgendeiner Fluss, es ist die Mutter Ganga. Wanderprediger und Sadus (heilige Männer) beten für den Segen und betteln um ein paar Rupien. In verschwiegenen Ecken wird Haschisch oder sogar Opium geraucht. Es ist der grosse Wunsch jedes Hindus in Varanasi zu sterben und am Ufer des Flusses verbrannt zu werden. Früher loderten die Feuer fast an jeden Ghat. Die Regierung hat diesen Brauch eingeschränkt, nur an zwei Orten ist es noch erlaubt. Die meisten Leichenverbrennungen geschehen heute in Krematorien, nachdem die Leiche zuvor kurz in den Fluss getaucht und so von allen irdischen Sünden gereinigt wurde. Früh am Morgen machen wir eine Bootstour an den Ghats vorbei. So können wir das bunte Treiben bei Sonnenaufgang in Ruhe beobachten.
Aber nicht nur den Hindus ist Varanasi heilig, sondern auch den Buddhisten. Unweit der Stadt liegt das Ort Sarnath, dort soll der Überlieferung zufolge Buddha nach seiner Erleuchtung zum Ersten Mal gepredigt haben. Auch hier haben verschiedene buddhistische Nationen Tempel und Klöster gebaut. Ausserdem sind hier noch Ruinen der damaligen Stadt.
Wieder auf der Strasse wird die Aufmerksamkeit voll beansprucht. Unser nächstes Ziel ist Khajuraho mit berühmten Tempeln, 420 km von Varanasi entfernt. Diese Distanz kann man in Indien unmöglich an einem einzigen Tag bewältigen, wir müssen unterwegs im Auto übernachten. Die Gegend um unseren Übernachtungsplatz ist schön aber die Umstände sind es weniger. Jeder kann kurz mit 5 Litern Wasser duschen, mehr Reserven haben wir nicht mit. Die Erfrischung dauert nur kurz. Es fühlt sich im Auto an, als ob wir in einer Sauna schlafen würden, aber wer hat schon jemanden in der Sauna schlafen sehen. Das gelingt höchstens einem Betrunkenen.
Am nächsten Tag erreichen wir Khajuraho und da diskutieren wir nicht lange, wir nehmen ein klimatisiertes Hotelzimmer und ruhen uns in den angenehmer Kühle aus. Dann besichtigen wir die Tempelanlagen. Khajuraho ist UNESCO Kulturerbe. Die wunderbar erhaltenen Tempel sind voll von feinen Skulpturen, oft mit erotischen Darstellungen. So viele vollbusige Schönheiten – wenn auch aus Stein gemeisselt – gibt es wahrscheinlich sonst nirgends auf der Welt. Den indischen Touristen scheint es zu gefallen. Touristen aus dem Westen gibt es nur wenige, klar, in der heissesten Zeit Indien zu bereisen, das machen wirklich nur Anfänger.
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