Dienstag, 3. Juli 2012

Die Flucht nach vorn

Seit Manali geht es mit uns nur noch bergab. Das ist wörtlich gemeint, denn nach vielen, vielen Kurven gibt der GPS nur noch um die 200 Höhenmeter an. Entsprechend steigt die Temperatur und bald haben wir im Auto schon wieder über 40 Grad. Die Umstellung ist brutal, die Schlafsäcke werden im hintersten Winkel des Stauraumes versorgt. Unser erstes Ziel im Tiefland ist Chandigarh. Diese Stadt stellt in Indien etwas Besonderes dar, denn sie wurde erst 1952 gegründet. Nach der Trennung von Indien und Pakistan hat der Bundesstaat Punjab seine alte Hauptstadt Lahore an Pakistan verloren. Die neue Regierung wollte ein Zeichen für die Zukunft setzen und beauftragte den Architekten Le Corbusier mit der Planung. Herausgekommen ist eine moderne Stadt, nach Schachbrettmuster angelegt, mit breiten Strassen - in einer Zeit, wo man in Indien nur wenige Fahrzeuge hatte. Die Blöcke, Sektoren genannt, haben Nummern. Wenn man diese nicht weiss, ist man trotz schnurgeraden Strassen verloren, genau wie in den verwinkelten alten Städten Indiens. Die Stadt macht den Eindruck einer europäischen Stadt allerdings mit einer grossen Prise indischem Charme. Der Zahn der Zeit hat auch hier ganze Arbeit geleistet. Aber nicht nur das Aussehen wirkt europäisch sondern auch die Sitten. Zum Beispiel ist heute am Sonntag alles geschlossen, wie in einem kleinen Schweizer Dorf. Und wir brauchen dringend ein Internet Café. Das finden wir schliesslich auch im besten Hotel der Stadt für teureres Geld, ja wenigstens ist es so klimatisiert, dass wir wieder frieren, wie hoch oben in Ladakh. Auch kann Romy in der hoteleigenen Bäckerei das beste Brot, das wir je in Indien gegessen haben, kaufen.


Doch leider, die Nachrichten sind schlecht. Unsere Hoffnung durch Myanmar fahren zu können, müssen wir endgültig begraben. Und da die Chinesen die Einreisebestimmungen nach Tibet drastisch verschärft haben bleibt uns nur die letzte Möglichkeit – das Auto von Kolkata aus zu verschiffen. Kolkata ist aber fast 2000 km weit weg, also liegen einige harte Fahrtage vor uns, denn 300 km am Tag auf indischen Strassen zu fahren, ist schon rekordverdächtig.

 Zuerst wollen wir noch eine heilige Stadt besuchen – Haridwar. Dort verlässt der grösste und heiligste Fluss Indiens, der Ganges, die letzten Ausläufer des Himalayas. Hier beginnt er seine lange Reise quer durch Nordindien bis nach Kolkata. (Ja, genau dorthin müssen wir auch, vielleicht ist es ein gutes Omen hier zu starten) Sein Wasser spendet Abermillionen von Menschen die Lebensgrundlage. Darum ist diese Stelle, diese Stadt, besonders heilig. Tausende von Pilgern kommen jeden Tag, um in den noch recht kalten Fluten des Flusses zu baden. 

Hier wird symbolisch ein neues Leben geboren. Jeden Abend wird eine Zeremonie abgehalten – die Verehrung der lebenspendenden Göttin Ganga. Jeder Platz am Ufer und an den Brücken ist besetzt. Kleine Schiffchen mit einer Kerze und Blüten werden den Fluss hinuntergelassen, Priester schwingen Fackeln, Gesang und Glockentöne erfüllen die Luft. Wir verfolgen das Geschehen in der sehr dicht gedrängten Menschenmasse. Trotz der Erhabenheit wird uns bewusst – wenn hier eine Panik ausbrechen sollte dann gibt es kein Entrinnen…












Dann fahren wir los, langsam kämpfen wir uns vorwärts. Das Autofahren in Indien ist wirklich kein Vergnügen, von dem habe ich schon zu Genüge geschrieben. Nur noch ein kurzes Zitat dazu von einem hiesigen Chauffeur. Er sagte uns: „Um den Tag auf indischen Strassen heil zu überstehen braucht es drei Dinge: erstens eine starke Hupe, zweitens sehr gute Bremsen und drittens, viel, viel Glück. Wir glauben auch, dass uns alle Götter Indiens und Tibets beigestanden sind, damit wir den indischen Chaosverkehr überstehen konnten.

Ungefähr auf halber Strecke treffen wir in Varanasi den Ganges wieder. Hier waren wir ja schon zu Beginn unserer Reise in Indien und kennen ein gutes Hotel mit Schwimmbad (die Temperaturen betragen immer noch 44 Grad im Schatten!). Dort wollen wir in einem klimatisierten Zimmer einen Ruhetag einlegen. Es gibt dort auch eine Bar wo man Bier bekommt, in diesem Land keine Selbstverständlichkeit. Doch zu früh gefreut, in Indien kommt es meistens anders als man denkt. Das Hotel ist ausgebucht, am Parkplatz steht ein Festzelt, eine grosse Hochzeitfeier wird vorbereitet. Also fahren wir weiter. Noch zwei Tage müssen wir bis nach Kolkata durchhalten. Es geht nun etwas schneller, denn die Strasse ist vierspurig ausgebaut, eine indische „Autobahn“ sozusagen, allerdings des Öfteren mit Gegenverkehr auf der Überholspur und anderen Schikanen.

Dann sind wir endlich am Ziel. Der etwa 10 Kilometer lange Stau vor und in der Stadt kann uns nicht mehr abschrecken. Wir suchen ein Hotel mit Parkplatz, Letzteres scheint hier Mangelware zu sein. Kolkata ist wirklich keine schöne Stadt. Man sieht viel Armut auf den Strassen. Nicht umsonst hat Mutter Theresa ihre Wirkungsstätte hier gegründet. Nach zwei und halb Monaten hier sind wir schon etwas „indienerfahren“, aber für einen Neuankömmling muss es ein Schock sein. Doch wir haben keine andere Wahl, wir müssen in dieser Stadt so langeausharren, bis der Brummi auf ein Schiff verladen ist. Übermorgen, am Montag, beginnen wir mit den Verhandlungen. Wir haben nur Schlechtes von anderen Reisenden, die von hier aus verschifft haben, gehört und einen Haufen Warnungen bekommen. Wir sind gespannt, Fortsetzung folgt……………………..

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