Seit wir Reykjavik verlassen haben, regnet es. Die geplanten
Wanderungen fallen buchstäblich ins Wasser. Vielleicht wachsen uns bald
Schwimmhäute, wenn es so weiter geht. Wir besuchen die Hraunfoss Wasserfälle,
die sich auf einer fast ein Kilometer langen Front unterhalb eines Lavafeldes
in den Fluss Hvita stürzen.
Weiter geht es um die Sneafellsnes Halbinsel. Vom
dem gleichnamigen Vulkan sehen wir gar nichts und dabei ist hier der
Ausgangspunkt zu einer Reise zum Mittelpunkt der Erde – wenigstens in einem Fantasieroman
von Jules Verne. Einen Ausnahmetag ohne Regen nutzen wir zu einer Wanderung zum
Eldborg Krater. Aber es bleibt mir nicht erspart, nass zu werden. Als ich nach
der Rückkehr meine dreckigen Schuhe an einem Fluss abwaschen will, fällt mir
die Bürste ins Wasser. Bei der Rettungsaktion rutsche ich aus und falle in den
Fluss. Es ist nicht gefährlich aber ich werde dabei nass bis auf die
Unterwäsche. Leider selber schuld.
Mit einer kleinen Fähre kommen wir in zwei Stunden von Stykkisholmur
zu den Westfjorden. (Diese Stadt ist stolz auf freies WiFi im ganzen
Stadtgebiet.) Im Zielhafen angekommen fahren wir eine 15 Km lange Stichstrasse
zu dem westlichsten Punkt von Europa.
Oder ist es schon Amerika? Nach der Wissenschaft verläuft die Trennlinie
zwischen den beiden Kontinentalplaten ja
mitten durch Island und nicht hier. Wie auch immer, ab hier gibt es nichts
anderes als Wasser bis zu der amerikanischen Küste. Das beschäftigt uns
weniger, mehr aber die Naturstrasse, die voller Löcher ist. Diese wiederum sind
voll mit schmutzigem Regenwasser. Dieses spritzt auf alle Seiten, denn die
Löcher sind so zahlreich, dass Ausweichen ein Ding der Unmöglichkeit ist. Warum
plagen wir uns so, um zu einem, an sich bedeutungslosen Ziel zu gelangen? Das
Land endet dort mit Felsen, wo zu dieser Zeit Übertausende Seevögel nisten.
Unter ihnen unsere Lieblinge, die Papageientaucher. Und das ist uns die Mühe
wert. Auch ist der Camping noch geschlossen und wir müssen die Nacht am
Strassenrand verbringen. Nacht ist aber etwas viel gesagt, die Sonne (falls sie
sich zeigt), geht erst kurz vor Mitternacht unter und vor drei am Morgen ist
sie wieder da. Dunkel wird es dabei überhaupt nicht.
Unglaublich aber wahr – am Morgen ist der Himmel blau. Wir
können entlang der Kliffenrand wandern und die Vögel im Sonnenschein beobachten.
Sogar zwei Polarfüchse bekommen wir vor Linse. Romy ist begeistert… Die Weiterreise
in den Westfjorden nimmt viel Zeit in Anspruch, den jeder Fjord muss umgefahren
werden. Es wird aber nie langweilig. Da gibt es Robben zu beobachten, dort wird
mit Hilfe der geothermischen Energie Salz aus Meerwasser gewonnen, woanders
liegt eine Menge Treibholz am Strand. Angeblich stammt es aus Sibirien und ist
über das ganze Nordmeer gedriftet. Früher war es sehr wichtig für die Bauern
als Bauholz und zum heizen, denn auf Island wachsen Bäume nur sehr sporadisch.
Erst in der letzten Zeit wird im grossen Massstab aufgeforstet. In einem der
Fjorde in der Stadt Siglufjördur gibt es ein Heringmuseum. Heringe waren für
Island anfangs des letzten Jahrhunderts lebenswichtig. Man hat sie in Fässern eingelegt
exportiert oder zu Fischöl und Fischmehl verarbeitet. Und sie waren schier
unerschöpflich. Man brauchte nur die Netze auswerfen. Dann - eines Tages -
waren die Fischschwärme weg. Die ganze Industrie war zusammengebrochen, viele
Fischer und andere Arbeiter wurden arbeitslos.
Heute gehen wir zu See. Nicht Heringe fischen, sondern Wale
beobachten. Wir bekommen sehr warme Overalls, den auf dem Wasser ist es empfindlich
kalt und Wind bläst ununterbrochen um die Ohren. Doch die Widrigkeiten werden
belohnt, wir bekommen ein paar dieser wunderbaren Geschöpfe vor die Kamera.
Akureyri, die zweitgrösste Stadt Islands und der Hauptort
des Nordens, ist voll von Menschen. Es sind aber nicht die Einheimischen,
sondern Touristen von den Kreuzfahrtschiffen. Zwei riesige davon liegen im
Hafen und die Menschenmassen verstopfen die Fussgängerzone. Einzig die
Souvenirläden freuen sich. Wir ergänzen unsere Vorräte und fahren weiter zum
Godafoss. Am Abend ist es noch bewölkt, am nächsten Morgen scheint aber die
Sonne. Sogar einen Regenbogen gibt es. Und nicht nur das. Eine Filmcrew ist
dabei, eine Sequenz für den Film „Flying over Island“ zu drehen. Ein Helikopter
mit Kamera und mehrere Kajakfahrer, die sich von dem 12 Meter hohen Wasserfall
hinunter stürzen, sorgen für Aufregung.
Bei Myvatn See gibt es auch viel zu erkunden. Aber auch
viele lästige Mücken, zum Glück stechen die Biester nicht. Es gibt
Thermalfelder mit blubbernden Schlamm und dampfenden Fumarolen,
Heisswassergrotten, Krater mit und ohne Seen und sogar Pseudokrater. Diese sind
nicht durch vulkanische Tätigkeit entstanden sondern durch
Wasserdampferuptionen als die glühend Lava über Gewässer oder Feuchtgebiete
floss.
Wir gönnen uns auch etwas Spezielles – ein Bad in der Lagune. Unlängst
wurde ein Heisswassersee mit viel Aufwand errichtet. Herrlich sich im blauen
Wasser zu suhlen. Allerdings ist es kein billiges Vergnügen, Der Eintritt
kostet gut 45 Fr. (Zum Glück für uns zahlen Rentner etwas weniger). Wie es so
schön heisst – man gönnt sich ja sonst nichts…
Nun stehen drei der Grössten Wasserfälle auf dem Programm: Hafragilsfoss,
Dettifoss und Selfoss. Dettifoss soll der grösste Wasserfall Europas sein. Der
riesige Parkplatz und die gut ausgebaute Zufahrt bestätigen es entsprechend.
Bevor sich der Kreis unserer Reise um die Insel wieder schliesst, fahren wir in
die Ostfjorde. Ein kleiner Ort namens Bakkagerdi versüsst uns den Abschied.
Dort gibt es einen Vogelfelsen mit Hunderten von Papageientaucher. Man kommt
sehr nah an sie und sie scheinen Kunststücke zu vorführen, die ihren Spitznamen
„Clowns der Nordsee“ bestätigen. Was haben wir uns an anderen Orten bemüht,
wenigsten ein paar von diesen putzigen Vögeln vor die Linse zu bekommen und
hier können wir uns nicht satt sehen. Vielleicht hätten wir hier mit unserer
Umrundung anfangen sollen? Wie auch immer, bald heisst es Abschied nehmen von
dieser Insel mit wilder Natur und liebeswürdigen Menschen. So wie es angefangen
hat, so endet auch unsere Reise – im Regen. Mit dem Wetter war es wie mit dem
berühmten halbleeren / halbvollen Glass. Mehr schlecht oder mehr schön, das ist
eine Frage der Einstellung. Die Fähre bringt uns in drei Tagen wieder aufs
europäische Festland, wir haben viel Zeit zum Nachdenken….