Samstag, 8. Oktober 2011

Ins gelobte (?) Land

Zhagmu ist die letzte chinesische Stadt vor der Grenze. Die Fahrt dorthin ist wie auf einer Achterbahn. Soeben den letzten 5000 Pass mit schneebedeckten Fahrbahn überwunden, kennt die Strasse nun nur eine Richtung: abwärts. In unzähligen Kurven verliert sie schnell an Höhe. Auch die Landschaft ändert sich schlagartig. Waren die Hänge eben noch braun und kahl, sind sie nun grün. Unzählige Wasserläufe stürzen zu Tal, erste Bäume wachsen neben der Strasse. Es wird wärmer und die Luft feuchter.
Als Folge ausdauernder Regenfälle in den letzten Tagen ist die Strasse an vielen Stellen schwer beschädigt. Riesige Steinblöcke von der Grösse eines PKW’s liegen auf der Fahrbahn. Nicht zu denken, was passieren könnte, wenn man beim Sturz dieser Brocken gerade vorbei gefahren wäre. Die Chinesen halten aber diese einzige Strassenverbindung zu Nepal ganzjährig offen, denn der gesamte Warenverkehr zwischen den beiden Ländern rollt über diese Strecke. Nicht umsonst heisst sie auch „Friendship Highway“. Die Folge davon bekommen wir bald in Form von Lastwagenstaus zu spüren, zuerst sind es die chinesischen, später die nepalesischen. Die grossen chinesischen Laster dürfen nicht nach Nepal (sie würden auf der schmalen Strasse stecken bleiben) und umgekehrt die nepalesischen nicht nach China fahren. Alle Waren werden deshalb in Grenznähe umgeladen. Die Hälfte der ohnehin schon nicht breiten Strasse ist mit parkierten LKWs verstellt, die andere dient dem gesamten Verkehr. Da kann man nur beten, dass kein Gegenverkehr kommt. Zhagmu, die Grenzstadt, erinnert an eine Wildweststadt, alles wirkt irgendwie provisorisch und chaotisch. Einen Parkplatz zu finden ist hier Fehlanzeige, denn die Stadt ist an einem steilen Hang gebaut. Wir verbringen hier unsere letzte Nacht in China. Doch zuerst gibt es noch ein paar spannende Momente. Schafft es Christine bis zum Abend zu kommen damit wir morgen zusammen ausreisen können?

Kurz vor Einbruch der Dunkelheit kommt der Landrover an. Christine hat es in nur zwei Tagen geschafft von Lhasa bis hierher zu fahren. Die neue Dieselpumpe arbeitet tadellos und die Gruppe ist wiedervereint. Das feiern wir mit dem letzten gemeinsamen Abendessen zusammen mit unserem Guide.

Am nächsten Morgen geht es die letzten acht Kilometer zur Grenze. Habe ich schon geschrieben, dass die Strasse vollkommen mit Lastwagen verstopft ist?!? So schaffen wir es nicht mehr vor der Mittagpause durch die Grenzabfertigung zu kommen. Das ist aber wirklich das letzte Hindernis auf unserem dornigen Weg durch Tibet. Nachdem die Beamten gestärkt sind, geht es sehr schnell, der Ausreisestempel ist im Pass und wir dürfen vorbei am salutierenden Grenzsoldaten über die Freundschaftsbrücke fahren. Doch Halt, in der Mitte der Brücke müssen wir die Strassenseite wechseln, in Nepal fährt man ja links! Die Formalitäten an der Grenze in Nepal sind erstaunlich einfach und schnell. Das Visum wird für 40 USD in den Pass geklebt, das Carnet für das Auto abgestempelt, fertig - wir dürfen weiterfahren.

Bald merken wir, dass wir nun in einem ganz anderen Land sind. Die Strasse ist durch viele Erdrutsche unterbrochen, die nur mühsam auf provisorischen Pisten zu umgehen sind. Während der langen Jahre des Bürgerkrieges mit den Maoisten hat die Regierung kein Geld in den Strassenunterhalt investiert, der Zustand spricht für sich. Es wird klar – heute erreichen wir Kathmandu nicht mehr, obwohl es von der Grenze nur 120 km sind. Am nächsten Tag ist es so weit.

Das Ziel liegt nach fünf Monaten und fast 24’000 km vor uns unter einer Smogglocke – Kathmandu, die Stadt von der schon Generationen von Hippies in den Sechziger und Siebziger Jahren geträumt haben. Auch ich stand 1973 schon da, die Stadt, die damals noch ein Dorf war vor meinen Augen.

Heute ist alles anders, die Stadt ist ein Moloch geworden, sie platzt aus allen Nähten, der Verkehr erstickt an sich selbst. Und ich mache einen entscheidenden Fehler. Ich gebe in das GPS Gerät die Adresse des Hotels ein, wo wir im Garten stehen wollen und lasse mich dorthin führen. Leider ist bekanntlich der direkte Weg nicht immer der Schnellste. So komme ich in die Altstadt, wo die Gassen kaum breiter als unser Auto sind. Ausserdem bekommt das GPS wegen den hohen Häusern bald keinen Satellitensignal mehr und ich stehe da, ohne zu wissen, wo ich mich befinde. Ein Zurück gibt es nicht, es gibt kein Platz, wo ich kehren könnte und rückwärts fahren ist auch unmöglich, es ist viel zu eng. Dann setze ich dem Ganzen noch die Krone auf, indem ich in eine nicht gekennzeichnete Einbahnstrasse einbiege. Auch sie ist so eng, dass ein Kreuzen nur an wenigen Stellen möglich ist. Wieder einmal rettet Romy die Situation, sie läuft jeweils etwa 200 Meter voraus und hält mit Körpereinsatz den Gegenverkehr an, damit ich die engen Passagen durchfahren kann. Mühsam bewegen wir uns vorwärts, heute sind wir die Attraktion von Kathmandu. Ich höre nur eine Bemerkung von vorbei gehenden Touristen: „Die sind aber mutig“. Mutig ist gut, eher dumm ist zutreffend. Aber irgendwie schaffen wir es nach Stunden wirklich bei dem Hotel anzukommen - mit der Erkenntnis, dass es nicht immer ratsam ist, sich auf die modernste Technik zu verlassen.

Noch ist unsere Gruppe zusammen aber bald trennen sich unsere Wege. Nuria fliegt nach Hause, Fabian und Johanna wechseln in ein Hotel, das dem Stadtleben näher ist. Und in Katmandu herrscht wirklich das Leben. Im Stadtteil Thamel gibt es alles, was die westlichen Touristen angeblich brauchen. Wir selber sind beschäftigt einen sicheren Platz für den Brummi zu finden. Dann buchen wir den Flug in die Schweiz. Wir werden dort Ferien von unserem Urlaub machen. Nun haben wir Zeit und Musse uns etwas zu erholen, die Sehenswürdigkeiten Kathmandus ausgiebig zu besichtigen und alle Annehmlichkeiten der Stadt, die von den meisten Overlandern als das gelobte Land gepriesen wird, zu geniessen.

1 Kommentar:

zurken hat gesagt…

Gruß an Christine, freue mich, dass sie es geschafft hat!
Jürgen