Nochmals zwei Tage im Zug und wir sind wieder zurück in Winnipeg,
wo der Brummi auf uns wartet. Bei der Weiterfahrt Richtung Osten wird uns
bewusst, dass Kanada - nach Russland - das grösste Land der Erde ist. Die
Entfernungen sind riesig. Links und rechts der Strasse hat es Wälder ohne Ende,
Orte gibt es wenige, dafür unzählige Seen, kleine und grosse. Wikipedia gibt ihre
Anzahl in Kanada mit zwei Millionen an. Natürlich sind nicht alle so gross wie
die fünf Grossen Seen, die Kanada mit den USA teilt. Als ersten von ihnen
erreichen wir den Lake Superior. Er ist der grösste Süsswassersee der Welt,
halb so gross wie die Schweiz. Hier von einem See zu sprechen ist allerdings etwas
untertrieben, ein Meer wäre eine bessere Bezeichnung. Fast vier Tage fahren wir
an seinem nördlichen Ufer entlang.
Langsam kommen wir in ein Gebiet, wo
Ahornbäume wachsen. Das Laub der Bäume fängt gerade an, sich zu verfärben. Es
sieht schon jetzt fantastisch aus, die Einheimischen sagen uns aber, dass die
wahre Pracht erst in einigen Tagen kommt.
Auch am Lake Huron zieht der Herbst
langsam ein. Wir nehmen hier eine Fähre, um uns die weite Anreise zu den
Niagara-Wasserfällen ein wenig zu verkürzen. Zuerst haben wir etwas Mühe mit
der Angabe unseres Reisezieles bei den Einheimischen. Mit „Niagara“ kann niemand
etwas anfangen. Bald lernen wir, dass die richtige Aussprache „Najagra“ heisst und
für uns erst noch mit einer
ungewohnten Betonung.
Und dann stehen wir da, vor uns stürzen gewaltige Wassermassen
in die Tiefe. In bloss einer Sekunde würde diese Menge Wasser eine Million
Badewannen füllen, erfahren wir im Visitors Centre. Wie auch immer, der Anblick
verschlägt uns fast den Atem. Gewaltiges Donnern und Wassergischt erfüllen die
Luft. Und diesmal haben wir sogar Wetterglück – ein halbrunder Regenbogen spannt
sich am blauen Himmel über den Hauptwasserfall. Wegen seiner halbrunden Form heisst
er „Horseshoe Waterfall“. Die Grenze zwischen Kanada und den USA verläuft in
seiner Mitte. Ein etwas “kleinerer“ Wasserfall liegt ausschliesslich auf
amerikanischem Boden. Dorthin gelangen wir nach einer problemlosen
Passkontrolle über eine grosse Brücke, die den Niagara Fluss unterhalb der
Wasserfälle überspannt.
Als ob der Blick auf die Wasserfälle schon nicht genug Attraktion
wäre wird für die zahlreichen Touristen noch viel mehr geboten: In ein
Regenponcho gekleidet können sie mit einem Schiff fahren, das sich mühsam gegen
den reissender Strom bis zu der herabstürzenden Wasserwand wagt oder sie können
zu Fuss erkunden, wie es hinter dem Wasserfall aussieht, auch ist es möglich die
Fälle von einem Aussichtsturm oder sogar von einem Hubschrauber aus zu bewundern
. Und wer dann genug von dieser Show hat kann sein Glück in einem Casino versuchen.
Am Abend werden die Fälle farbig beleuchtet und das wollen wir uns nicht
entgehen lassen. „Schade“, denken wir, „dass heute nicht ein Freitag oder ein Sonntag ist“,
dann würde sogar ein Feuerwerk geboten. Nach der Besichtigung müssen wir zum Camping fahren und da lässt uns der
Brummi im Stich. Kein einziges Licht funktioniert mehr und es ist eine dunkle
Nacht. Ich versuche den Fehler zu finden, aber bei der Dunkelheit und auf der
Schnelle gelingt es mir nicht. Dazu ist auf dem Parkplatz, wo wir stehen, das
Parken nur bis Mitternacht erlaubt. Romy rettet die Situation und fragt bei der
zuständigen Aufsichtsperson nach, ob wie hier übernachten dürfen. Nach
Rücksprache mit dem Supervisor und nachdem unsere Autonummer für alle Fälle notiert
wird, bekommen wir das o.k. So verbringen wir eigentlich ungewollt die Nacht
nur etwa zweihundert Meter vom Wasserfall entfernt. Das Donnern des
herabstürzenden Wassers erinnert mich an eine stark befahrene Autobahn aber sonst
verläuft die Nacht ruhig. Am Morgen finde ich den Fehler relativ schnell – einen
korrodierter Stecker an der Masseleitung.
Toronto und die zusammengewachsenen Vorstädte haben eine
Ausdehnung von mehr als Hundert Kilometern. Durch diese Stadtwüste kämpfen wir
uns durch, denn es gibt zur Abwechslung sehr viel Verkehr und auch Staus. Wir
sind froh, als die Stadt hinter uns liegt, trotz den schönen Parks am Ufer des
Lake Ontario und den vielen modernen Hochhäusern. Über Landstrassen fahren wir
nun durch farbenprächtige Ahornhaine in Richtung Ottawa, der Hauptstadt Kanadas
und freuen uns über die herbstliche Sonne und den fortschreitenden
„Indiansummer“.
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