Wenn ihr diesen Beitrag lesen könnt, so haben wir, respektive ein pfiffiger iranischer Hacker es geschafft, die Regierung zu überlisten. Denn „Blog.Spot-Seiten“ sind im Iran gesperrt.
Kurz vor der iranischen Grenze ziehe ich mein neues Outfit an, welches ich extra in der Türkei gekauft habe. Es ist ein bis zum Boden reichender Mantel und ein Kopftuch (siehe Bild). Nur das Gesicht und die Hände dürfen sichtbar sein, alles andere muss verdeckt werden. Das sind die Kleidervorschriften für die Frauen im Iran und wer sich nicht daran hält, macht unliebsame Bekanntschaft mir der Religionspolizei.
Vor dem iranischen Grenzübertritt haben wir etwas Bammel. Lassen sie uns etwa, trotz gültigem Visa, doch nicht einreisen? Keiner der Beamten beherrscht die englische Sprache, was die Formalitäten nicht erleichtert. Uns kommt ein junger Iraner zu Hilfe, der leidlich englisch spricht. Er wickelt die ganze Bürokratie für uns ab und wir rechnen damit, dass er uns am Schluss eine gesalzene Rechnung für seine „Dienste“ präsentieren wird. Aber was soll’s, allein hätten wir den Durchblick nicht. Das Zollgelände ist riesig und wir werden von einem Schalter zum nächsten gescheucht. Doch nach etwas mehr als einer Stunde ist der Marathon geschafft – wir haben den erforderlichen Stempel im Pass und auch im Carnet de Passage für die Einfuhr des Autos. Unser junger Helfer will zu unserem grossen Erstaunen kein Geld, lediglich, dass wir bei ihm Devisen umtauschen. Nachdem wir unsere ersten 100 Dollar gewechselt haben (Kreditkarten funktionieren hier wegen den amerikanischen Sanktionen nicht) sind wir Millionäre. Für 100 Dollar bekommen wir sage und schreibe 1,2 Millionen Rial. Wir sind also in einem Land, in dem es fast nur Millionäre gibt! Die kleinste Note von 1000 Rial hat einen Wert von umgerechnet 7,5 Rappen. Münzgeld ist kaum noch im Umlauf. So sind die Menschen mit Bündeln von Geld unterwegs und können doch nicht viel dafür kaufen. Iran leidet unter einer starken Inflation, die seit der Machtübernahme der Regierung Ahmadinejad im Sommer 2005 im Galopp verläuft. Die Preise für Lebensmittel, Energie und andere Güter des täglichen Lebens sind stark gestiegen und sie sind für viele einfache Iraner kaum noch zu bezahlen. Einige Güter, wie z. B. Benzin sind rationiert. Ein Autofahrer bekommt 60 Liter pro Monat zu einem normalen Preis. Will er mehr tanken, muss er fast das Doppelte bezahlen. Auch wir bekommen nur den teureren Sprit, da wir als Touristen keine Zuteilung vom Staat erhalten. Doch mit einem Literpreis von 55 Rappen können wir uns nicht beklagen, vor allem, wenn wir an die Türkei zurück denken, wo wir fast das Fünffache bezahlt haben.
Die ersten Iraner mit welchen wir ins Gespräch kommen, fragen nach Whisky. Miro meint: „Eure Religion verbietet euch doch Alkohol zu trinken“. „Nein, nein, das sind nur die Mullahs“, entgegnen sie uns.
Sofort haben wir das Gefühl, dass wir im Iran gern gesehene Gäste sind. Sind wir irgendwo zu Fuss unterwegs, rufen sie uns die Menschen zu: „Willkommen im Iran, wir freuen uns, dass ihr unser Land besucht“. Kommen wir mit den Menschen ins Gespräch, wollen sie oft wissen: „ Was denkt ihr von der iranischen Politik und was hält ihr von den Iranern?“ Dann appellieren sie an uns, die Politik des Landes und seine Menschen nicht in einen Topf zu werfen. Wir kommen mit Iranern ins Gespräch, die offen ihre Unzufriedenheit mit der Regierung. Ansprechen. Ein Angestellter im Internetcafé beschwert sich über die Kleidervorschriften. Wenn sich seine Frau nicht daran halte, bekomme sie als Strafe nie eine Stelle bei der öffentlichen Verwaltung. Im Wiederholungsfall drohe ihr gar Gefängnis. Eine junge Frau beklagt sich, dass sie keinen Job findet. „Ich habe jahrelang studiert und mich gut ausgebildet und nun bin ich arbeitslos“. Mein einziges Vergnügen ist es mit meinen Freunden zu chaten. Ich will den Iran verlassen, aber wohin soll ich gehen“. Ja, was sollen wir dazu sagen, dass es bei uns auch arbeitslose Jugendliche gibt. Das hilft ihr auch nicht weiter.
Immer wieder werden wir beschenkt. Als ich einen Lastwagenfahrer fotografiere, wie er auf dem Trittbrett seines Fahrzeuges mit dem Gaskocher Tee zubereitet, hebt er die Lastwagenplane hoch und beschenkt mich mit Tomaten. Die Fischer am Kaspischen Meer beglücken uns mit einem Fisch (den wir nachher ausnehmen müssen, eine neue Erfahrung). Ein anderes Mal überholt uns ein Auto und gibt Zeichen, rechts an den Strassenrand zu fahren. Der Fahrer will uns unbedingt Aprikosen geben und dazu auch noch gleich eine Flasche Wasser, damit wir sie waschen können. Begegnen wir Iranern beim Picknick, was diese sehr gerne und oft tun, laden sie uns ein und wir werden verköstigt. Der Händler am Gemüsestand will kein Geld von mir für den Einkauf. Ich habe die grösste Mühe, die Ware zu bezahlen.
Die Hilfsbereitschaft vieler Iraner ist einmalig. Fragen wir nach dem Weg, kommt es immer wieder vor, dass jemand mit dem Auto bis zur entscheidenden Kreuzung voraus fährt, damit wir auch ja die richtige Ausfahrt nehmen, und das, obwohl das Benzin hier rationiert ist. In den grossen Städten lassen wir das Auto möglichst stehen und fahren mit den öffentlichen Bussen zu den Sehenswürdigkeiten. Das ist kein einfaches Unterfangen, denn die Busse sind alle nur in Farsi (persisch) angeschrieben. So fragen wir uns durch und die Leute reichen uns von einem Bus zum nächsten – bis wir am Ziel sind. Der Buschauffeur auf dem Busbahnhof lässt seine Passagiere im Bus warten, um uns den gewünschten Bus am anderen Ende des Platzes zu zeigen. Die Liste liesse sich beliebig fortsetzen.
Es gibt aber auch eine andere Seite der Iraner. Lässt man sie ans Steuer, verwandeln sie sich in sekundenschnelle zu Ungeheuern. Ich schreibe hier bewusst nur in der männlichen Form, denn Frauen hat es nur wenige, die Auto fahren, obwohl sie hier – im Gegensatz zu Saudi Arabien - fahren dürfen. Hatten wir in der Hauptstadt Georgiens das Gefühl, der Verkehr sei mörderisch, mussten wir im Iran feststellen, dass dies erst die Vorstufe zur Hölle war. In iranischen Städten ist die wirkliche Hölle. Auf einer vierspurigen Strasse fahren sieben Autos nebeneinander, niemand kümmert sich um eine Spur. Die Blinker an iranischen Autos sind eine glatte Fehlinvestition, dafür müssen sicher die Hupen mehrmals während eines Autolebens ersetzt werden. Ich falle von einer Ohnmacht in die nächste und höre dumpf zwischendurch Miro fluchen: „Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich zu Hause geblieben, kein Wunder dass ich jeden Tag mehr graue Haare kriege“. Nein, natürlich falle ich nicht in Ohnmacht, das ist nur Wunschdenken. Hier braucht es vier, besser wären sechs Augen, um in diesem Chaos alles Wesentliche mitzukriegen. Immer wieder schreie ich: „Achtung“, weil sich von rechts einer zentimeternah an unser Auto heran gemacht hat. Ich kann die Vollbremsungen, dank denen wir einer Kollision entgangen sind, schon gar nicht mehr zählen. Vielleicht würden aber auch die Iraner im letzten Moment bremsen, doch woher sollen wir diese Sicherheit nehmen. Polizisten lassen sich in den Städten nicht blicken, sie haben wohl längst kapituliert. Auf den Überlandstrassen, die übrigens ausgezeichnet sind, ist es dank des geringeren Verkehrsaufkommens etwas weniger stressig. Doch auch hier ist Vorsicht geboten. Mehrmals müssen wir auf den Pannenstreifen ausweichen, weil uns ein Fahrzeug auf unserer Spur entgegen kommt. Einige haben keine Zeit zu warten, bis der Gegenverkehr vorüber ist. Zu allem Überfluss hupen viele Auto- und Lastwagenfahrer wenn wir auftauchen – einfach als Freude darüber, ein ausländisches Fahrzeug auf iranischen Strassen zu sehen. In diesem Land gibt es, umgerechnet auf die zugelassenen Fahrzeuge, acht Mal mehr Verkehrstote wie in der Schweiz – wen wundert’s.
Seit einigen Tagen habe ich einen lästigen kleinen Untermieter. Gesehen habe ich ihn allerdings noch nie, dafür umso mehr gespürt. Miete bezahlt er keine, im Gegenteil, er beutet mich regelrecht aus. Anfänglich gab ich mich der Illusion hin, dass es Moskitos sind, welche die fürchterlich juckenden Pusteln verursachen. Doch obwohl ich mich mit Antimückenmittel schier vergiftete und nur noch im Moskitonetz nächtigte, es wurde immer schlimmer. Irgendwann konnte ich es nicht länger verdrängen und musste der Tatsache ins Auge sehen: Ich hatte einen Floh. Wie war das möglich? Ich habe nie in fremden Betten geschlafen. Wo nur war der Kerl auf mich gesprungen? Und dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Für die Besichtigung der Moscheen reichen mein Kopftuch und der Mantel nicht aus. Nur mit einem Chador bekleidet darf ich die Gotteshäuser betreten. Diese liegen jeweils beim Eingang und jede Frau, die keinen hat, bedient sich damit. Und bei dieser Gelegenheit hat sich der Floh wohl häuslich bei mir niedergelassen. Alle meine Versuche, ihn wieder los zu werden sind bis heute gescheitert. Ich habe mehrmals die Kleider gewechselt und stundenlang geduscht, nichts hat geholfen. Im Bett unseres Busses kann er auch nicht verstecken, denn ich werde auch tagsüber attackiert. Inzwischen sehe ich aus als hätte ich Masern und Röteln gleichzeitig. Wie hoch ist wohl die Lebenserwartung eines Flohs? Das sind ganz neue Fragen, Fragen die ich mir in meinem bisherigen Leben noch nie gestellt habe. Ist mein Untermieter vielleicht gar ein schwangeres Weibchen und deshalb besonders hungrig? Wie viele Eier legt ein Floh? Und wie hoch ist die Kleinflohkindersterblichkeit? Bei der ausgiebigen Nahrung von mir dürfte sie gering sein. Auch meine Hoffnung, dass der Floh irgendwann auf Miro überspringt, hat sich bis jetzt nicht erfüllt. Er ist mir treu ergeben.
Nach einigen Tagen im Iran, stelle ich fest, dass die Kleidervorschriften der Frauen in der Praxis nicht mehr so eng sind. Vor allem junge Frauen nehmen sich Freiräume. Oft tragen sie das Kopftuch als modisches Accessoire und sie lassen keck ein paar Haarstränen hervor schauen. Die taillebetonten Mäntel reichen noch knapp bis zu den Knien und darunter tragen sie enge Jeans. Ich habe es ihnen gleich getan und mir eine Hemdbluse mit langen Ärmeln, die bis zu den Knien reicht, gekauft. Bis jetzt hat mich die Religionspolizei nicht behelligt, und wenn schon, ich will ja keinen Job bei der iranischen Verwaltung. Mindestens die Hälfte der iranischen Frauen trägt allerdings einen Chador – auch viele junge Frauen – obwohl das von der Regierung gern gesehen, aber nicht vorgeschrieben ist. In meinem Mantel habe ich es schlicht nicht mehr ausgehalten. Seit Tagen haben wir über 40 Grad und das, obwohl wir uns immer auf einer Hochebene von ca. 1500 Metern bewegen. Fast drei Viertel Irans sind Wüste und die Sonne brennt gnadenlos vom Himmel. Auch in der Nacht fallen die Temperaturen nicht unter dreissig Grad. Unser Denken wird hauptsächlich von einem Wort beherrscht: SCHATTEN, wo gibt es den nächsten Schatten?
Morgen starten wir zur Durchquerung der Kavir-Wüste. Es erwarten uns 700 Kilometer Sand, Geröll und Hitze in einem fast menschenleeren Gebiet.
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