Samstag, 20. September 2014

Wir lassen uns fahren

Wir sind unterwegs nach Winnipeg. Die Hauptstadt von Manitoba liegt etwa auf dem halben Wege zwischen der Ost- und der Westküste von Kanada. Dort besuchen wir im Stadion, wo normalerweise Hockey gespielt wird, ein Pow wow. Dies ist eine Zusammenkunft der Indianer Kanadas, die heute politisch korrekt „First Nation“ heissen. Wir sind total überrascht: Es ist die grösste Veranstaltung in Kanada - mit über Tausend Teilnehmern und noch viel mehr Zuschauern. Und wirklich – so viele Indianer in ihrer farbigen, traditionellen Kleidung und mit prächtigem Federschmuck ausgestattet, haben wir nicht einmal in sämtlichen Winnetou-Filmen gesehen.


Es wird den ganzen Tag getanzt, gesungen und getrommelt. Unzähligen Gruppen (oder sind es verschiedene Indianerstämme?) treffen im fröhlichen Wettbewerb gegeneinander an. Diese und ähnliche Treffen dienen auch dazu, die indianische Kultur zu ehren und um Kontakte zu knüpfen. Stundelang schauen wir dem bunten Treiben zu, ein wenig stört uns aber, dass diese Veranstaltung in einem Hallenstadion stattfindet und nicht irgendwo in der Prärie unter freiem Himmel. Dort könnte man sogar auch eine Friedenspfeife rauchen, was leider im Stadion nicht erlaubt ist. Fazit – ob die Indianer wirklich keinen Schmerz kennen bleibt uns verborgen, doch ihre Tänze, Schmuck und die traditionelle Kleider entsprechen durchaus den Klischees aus den Abenteuerbüchern meiner Jugendzeit.

Dann wollen wir nach Churchill, hoch im Norden an der Küste der Hudson Bay gelegen. Es führt aber keine Strasse dorthin, der Ort ist nur per Flugzeug oder mit der Eisenbahn erreichbar. Aber, oh, Schreck, der zweistündige Flug von Winnipeg kostet wesentlich mehr als ein Flug von Europa nach Churchill. So ist es, wenn eine Fluggesellschaft das Monopol besitzt. Da wir schon einige Male auf unserer Reise geflogen sind und auch Schiffe benutzt haben, lockt uns die Bahn, auch wenn die Fahrt 45 Stunden dauert. Kurz entschlossen buchen wir eine Kabine im Schlafwagen. Der Brummi bleibt in einem Camping in Winnipeg. Die Kabine ist mit Sitzen und einem ausziehbaren Bett ausgestattet, sogar ein WC und eine Waschgelegenheit sind vorhanden. Nur die Duschen sind nicht privat, dazu muss man sich zum Waggonende begeben. Einen Speisewagen gibt es auch, allerdings können wir das Essen dort nicht empfehlen. Schon bei der Buchung wurden wir gewarnt, die Mahlzeiten seien zwar im Preis inbegriffen, doch seien die Menüs „prepacked“. Was das heisst erfahren wir beim ersten Mittagessen – es sind Fertigmenüs in einer Plastikschale, schnell in der Mikrowelle aufgewärmt. Das Besteck ist natürlich auch aus Plastik. 


Wie auch immer, mit etwa einstündiger Verspätung verlassen wir den Bahnhof von Winnipeg, der einem riesigen Palast gleicht, eine Erinnerung an die Zeiten, in der die Eisenbahn das Hauptverkehrsmittel in Amerika war. Zuerst geht die Fahrt durch riesige Getreidefelder, dann kommen Laub- und Nadelbaumwälder, die dann schliesslich von Tundra mit unzähligen kleinen und grossen Seen abgelöst werden. Sie bilden sich, weil das Wasser wegen dem Permafrostboden nicht versickern kann. Die Bahnlinie wurde für den Getreidetransport zum Hafen von Churchill gebaut. Uns locken die Eisbären nach Churchill. Die Werbung nennt den Ort „Eisbärenwelthauptstadt“. An dieser Stelle friert im Winter die Hudson Bay zuerst ein und die Eisbären, die auf dem Land kaum etwas zu fressen finden, warten sehnsüchtig darauf auf das Eis gehen zu können um nach Robben zu jagen und sich vollzufressen.


Nach zwei Tagen im Zug steigen wir im schmucken Bahnhof von Churchill aus. Die Stadt hat etwa 800 Einwohner. Uns sind natürlich die Eisbären wichtiger, aber auch für die Bewohner sind sie nicht ganz ohne. Denn es ist nicht ungewöhnlich, dass die Bären durch die Strassen des Ortes spazieren. Da sie für die Menschen viel gefährlicher sind als ihre braunen Artgenossen, werden sie von der Bärenpolizei verjagt, die 24 Stunden in den Strassen patrouilliert. Diejenigen, die rückfällig geworden sind, werden eingefangen und in ein „Bärengefängnis“ nahe beim Flughafen eingesperrt. Dort bekommen sie nur Wasser und müssen in Betonkäfigen ausharren, bis sie nach ungefähr 30 Tagen mit einem Hubschrauber etwa 50 Kilometer weit in die Wildnis ausgeflogen werden. Diese brutale Behandlung soll sie von erneutem Eindringen in die Stadt abhalten. Schilder warnen vom Betreten der Strassen bei Dunkelheit, sowie vom Wandern in der Umgebung. Denn mit den Eisbären ist nicht zu spassen. Im letzten November wurden zwei Teenager mitten in der Stadt angegriffen und schwer verletzt, als sie von einer Halloween-Party nach Hause zurückkehrten. Darum gehen wir die Bären nicht selber suchen sondern buchen eine Tour. 


Und wir werden nicht enttäuscht. Es gibt zwar nicht an jeder Ecke einen Bär, aber wir bekommen etliche zu sehen, Einzeltiere und Mütter mit Jungen. Stundelang könnten wir ihnen zusehen, auch wenn sie die meiste Zeit schlafen. Super, nur das Wetter könnte besser sein. Hier bereitet sich schon alles auf den langen Winter vor. 


Schwärme der kanadischen Gänse verlassen das Land Richtung Süden, ihre Gekreische erfüllt die Gegend. 


Die Blätter der Pflanzen verfärben sich in allen Farbtönen von Gelb bis Rot. Und den kommenden Schnee kann man förmlich in der Luft riechen.

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