Samstag, 1. Oktober 2011

Das Finale mit Tücken

Nun ist es klar, die Agentur hat entschieden und die Gruppe darf geteilt werden. Christine muss in Lhasa bleiben und warten, bis die Dieselpumpe aus Deutschland eintrifft.
Dann, nachdem das Auto wieder fahrbar ist, fährt sie mit einem zweiten Führer direkt zur Grenze. Romy und ich, mit Johanna und Fabian, dürfen das vorgesehene Programm fortsetzen, welchem wir allerdings bereits zwei Tage hinterher hinken. Das heisst, jetzt sind wir nur noch zwei Fahrzeuge, (der 2. Landrover ist nach Laos weiter gereist) der blaue und der orange Bus. Dies ist, wie wenn ein Lahmer mit einem Blinden zusammen spannt, denn während unser Bus 24 Jahre alt ist, ist der Blaue noch 3 Jahre älter. Aber was soll es, wir fahren aus Lhasa - auf der einzigen Autobahn Tibets - zum Flughafen und weiter zum Kloster Samye. Von der Autobahn biegen wir etwas später auf eine üble Piste ab. Und bald macht sich das Alter beim blauen Bus bemerkbar. Was zuerst als kleiner Schaden aus sieht – ein gerissener Keilriemen – entpuppt sich bei näherem Hinsehen als eine abgerissene Motoraufhängung. Wir fixieren den Motor behelfsmässig mit Spanngurten, Kabelbindern und Abschleppseil. Es ist klar, der blaue Bus muss zurück nach Lhasa zur Werkstatt. Inzwischen ist es dunkel geworden. Wir setzen unsere Fahrt zum Kloster fort mit dem Wissen, dass wir den beschädigten Bus morgen in den Schlepp nehmen müssen, falls er es nicht mit eigener Kraft nach Lhasa schafft. Jetzt geht es nur noch mit unserem Auto weiter. Ein Höllenritt beginnt: Dunkelheit, eine brutale Piste und ein Gewitter sind nun unsere Begleiter. Geschwindigkeit kaum 20 km/h, Sicht kaum ein paar Meter. Der starke Rückenwind treibt unsere eigene Staubfahne vor das Auto, Wir kommen uns verloren vor - in einer rabenschwarzen Nacht - wie ausgestossen. Um 11 Uhr erreichen wir todmüde, aber erleichtert das Kloster.

Der nächste Tag ist viel besser. Zuerst erreicht uns die Nachricht, dass Johanna und Fabian in Lhasa sind. Für uns bedeutet das, dass wir die schlechte Piste nicht noch einmal zurück fahren müssen. So können wir das Kloster in Ruhe besichtigen. Romy mit dem Guide das Innere, wo gerade eine eindrückliche Zeremonie stattfindet, ich besteige einen Hügel in der Umgebung, um das Kloster von oben fotografieren zu können. Die ganze Klosteranlage ist in Form eines übergrossen Mandalas gebaut und das kann man nur von oben sehen.

Die zweite gute Nachricht des Tages – der Schaden am blauen Bus ist überraschend schnell repariert, wir können das Programm wie geplant fortsetzen! Nun heisst es zum vereinbarten Treffpunkt beim Flughafen zu fahren, wo nach einer kurzen Wartezeit der blaue Bus auch wirklich erscheint.

Der nächste Höhenpunkt ist das Mt. Everest Base Camp. Der Tag beginnt mit Regen, der, je höher wir kommen, in Schnee übergeht. Ich habe schon zur Genüge über schlechte Pisten und Strassen gejammert, aber diese gehört wirklich zu der allerschlechtesten Sorte. Es geht über einen 5100 hohen Pass, dann schneit es und Schneematsch verdeckt die Löcher. Die Sichtweite beträgt an die 300 Meter. Ich murmle nur: „Das war keine gute Idee“, denn man fährt ja hierher um den Mt. Everest zu sehen? Sehen kann man aber nur tief hängende Schneewolken.

Am nächsten Morgen ist der Schneematsch hart gefroren, die Busfenster von Innen mit einer dicken Eisschicht überzogen. Draussen aber scheit die Sonne und der Mt. Everest zeigt sich in voller Pracht - ohne eine einzige Wolke. Die letzten 8 km bis zum Base Camp sind für Fahrzeuge gesperrt, nur ein Shuttlebus fährt dorthin. Heute aber verkehrt er wegen der dicken Schneeschicht und vereisten Strasse nicht. Also laufen wir durch den frisch gefallenen Schnee. Im Sonnenschein stehen wir auf einem Hügel oberhalb des Kamps, wir vier, inzwischen verstehen wir uns ganz gut, und bewundern die weisse Pracht vor unseren Augen. Wir sind hier alleine, weiter darf kein Tourist gehen. Stille rund um uns, nur die Gebetsfahnen flattern in der klaren Luft. Der Berg steht wie ein König aus Eis vor uns und scheint gar nicht so uneinnehmbar. Sind wir Glückspilze, so ein Augenblick kommt hier nur ganz selten vor…

Auf der Weiterfahrt nehmen wir eine Abkürzung. Es war uns schon klar, dass eine Abkürzung selten besser ist als der Hauptweg. So ist es auch hier. Um es kurz zu machen – der blaue Bus bleibt im Schlamm stecken und als ich ihn rausziehen will grabe ich mich auch noch ein. Wir sind 5000 Meter hoch, jede körperliche Anstrengung bereitet Mühe und Atemnot. Wie kriegen wir die Autos wieder heraus? Ich sehe unseren Guide verzweifelt in Stille zu allen Schutzgottheiten Tibets beten. Und wirklich, sein Gebet wird bald erhört. Die Hilfe kommt in Gestalt eines Toyota Landcruisers mit chinesischen Touristen (welche Ironie des Schicksals). Es dauert nicht lange und unsere Fahrzeuge stehen wieder auf festen Boden. Die ganze Aktion wird durch klicken der Kameras der chinesischen Touristen begleitet, denn eine solche zusätzliche Attraktion erleben sie nicht jeden Tag. Wahrscheinlich sind wir schon morgen in einem chinesischen Facebook, falls es so etwas gibt. Sie sind glücklich uns geholfen zu haben, wir sind glücklich, auf sicherem Boden zu stehen. Freundlich dankend verabschieden wir uns gegenseitig. So festigt man die Freundschaft zwischen den Völkern! Die Weiterfahrt bringt noch ein paar „Problemchen“ aber wir schaffen es und sind stolz bis zum unserem heutigen Ziel gekommen zu sein.

Der vorletzte Tag in Tibet. Viele Fragen sind noch offen. Schafft es Christine die Pumpe rechtzeitig einzubauen und hierher, nach Zhagmu, dem Grenzort zu Nepal, zu kommen, damit wir morgen gemeinsam ausreisen können? Müssen wir vielleicht in diesem gottverlassenen Ort tagelang auf sie warten? Eins ist gewiss – Fortsetzung folgt.

1 Kommentar:

heinz hat gesagt…

Toll! Ich lese Euren Bericht sehr gerne und bin froh, dass der VW so wacker durchhält.