Dienstag, 21. Oktober 2014

Wieder eine Stunde weniger

Am Nordufer des St. Lorenz Stromes geht unsere Reise weiter. Wahrscheinlich nennt man dieses Gewässer vorsichtshalber Strom, denn man kann nicht eindeutig bestimmen, was es wirklich ist – ein Fluss oder doch schon das Meer? Das Wasser ist noch nicht salzhaltig, aber es gibt Ebbe und Flut wie beim Meer. Und der Strom ist sehr, sehr breit. Die Fähre, die wir später nehmen, braucht gut eineinhalb Stunden, um von einem an das andere Ufer zu gelangen. Aber zuerst fahren wir nach Tadoussac. Diese kleine Hafenstadt wird als bester Ort in ganz Kanada zur Walbeobachtung angepriesen. Aber wie könnte es anders sein - als wir kommen lassen sich keine Wale blicken. Stundenlang kreuzt das Boot umher und wir sehen nichts anderes als nur Wasser. Doch kurz bevor wir enttäuscht in den Hafen zurückkehren, ist uns das Glück hold. Neben dem Schiff taucht eine Walart auf, die wir bis jetzt noch nie gesehen haben: Belugas. Sie sind ganz weiss, allerdings erst, wenn sie ausgewachsen sind, als Babys sind sie dunkel.


Die nächste kanadische Provinz heisst New Brunswick. Zum letzten Mal stellen wir unsere Uhren um, jetzt beträgt der Unterschied zu Mitteleuropa nur noch 5 Stunden – gegenüber 10 Stunden in Alaska. Farbenprächtige Wälder begleiten uns auf unserem Weg zur Fundy Bay. Diese Bucht ist berühmt für den gewaltigen Unterschied zwischen Ebbe und Flut, der bis zu 16 Meter betragen kann.


 Wir schauen von den Klippen auf die grauen Fluten, unter uns schlagen mächtige Wellen an den Strand und auf einmal wird uns bewusst, dass wir hier am Ufer des Atlantiks stehen. Streng genommen wäre hier die Durchquerung des nordamerikanischen Kontinentes vollbracht, aber wir wollen entsprechende Feierlichkeiten erst in Halifax (dort geht es wirklich nicht mehr weiter nach Osten) zelebrieren, denn erst dort werden wir „am Ende“ angekommen sein

Doch bevor es so weit ist, machen wir einen kleinen Sprung zur Prince Edward Insel. Sie ist die kleinste der kanadischen Provinzen. Springen müssen wir aber nicht wirklich, es führt eine fast 13 Kilometer lange Brücke zur Insel. Sie soll die längste Brücke über ein Eisgewässer sein, das Meer darunter friert im Winter zu. Für die Brücke wird eine Maut verlang, eine Ausnahme in Kanada. 


Der Boden der Insel ist rötlich Erde bedeckt. Im Moment werden mit riesigen Maschinen Kartoffeln geerntet. Auch die schier unendlichen Strände und Sanddünen des Nationalparks sind rötlich gefärbt. In dieser Jahreszeit sind sie verlassen, kein Mensch ist weit und breit zu sehen. Alles ist verrammelt, die Campingplätze geschlossen. Nach dem Feiertag am zweiten Montag im Oktober geht die kanadische Tourismusindustrie in den Winterschlaf. Für uns heisst es wieder wild campieren, so wie wir es in den ersten zwei Jahren unserer Reise praktiziert haben.

Nach der Rückkehr zum Festland ist es nur ein kleines Stück und wir stehen an der Grenze von Nova Scotia, der letzten kanadischen Provinz, die wir besuchen. Nach Halifax, unserm Endziel, sind es etwas mehr als 230 Kilometer. Doch wir haben noch ein paar Tage „aufgespart“ und wollen einen Umweg über Cape Breton machen, das ganz im Norden der Provinz liegt. Ursprünglich war es eine Insel, heute ist sie mit einem Damm mit dem Festland verbunden. Die Ortschaften sind keltisch geprägt und in den Pubs wird Fidel-Musik gespielt. Und es scheint uns, dass jetzt im Herbst die Laubbäume hier die schönsten Farben von ganz Kanada tragen. So haben wir uns den „Indian Summer“ vorgestellt. Die letzten Tage unserer Reise haben wir hier in der Natur, trotz einiger Regentage, nochmals richtig genossen.


In Halifax müssen wir für den Brummi einen Platz auf einem Schiff nach Europa finden. Diesmal kommt er nicht in einen Container, er fährt „roll-on, roll-off“ und das bedeutet, dass wir ihn unverschlossen im Hafen abgeben müssen. Das bereitet uns schon etwas Sorgen, aber da unsere Reise zu Ende geht, wäre es nicht so schlimm, wenn etwas verloren ginge. Nach vier Reisejahren ist sowieso nichts mehr allzu Kostbares drin. Die Formalitäten bei dem Spediteur gehen schnell vonstatten. Mit den Dokumenten fahren wir zum Hafen. Auch dort ist alles schnell erledigt. Wir geben den Autoschlüssel ab, bekommen eine Bestätigung und der Brummi einen roten Zettel mit der Anschrift „Hamburg“. Ein letzte Blick und ein stilles Dankeschön, verbunden mit der Hoffnung, dass wir ihn Mitte November wieder sehen werden. So gesehen ist die Reise noch nicht zu Ende, es bleibt noch ein „kleines“ Stück Hamburg – Urdorf, Fortsetzung folgt...

Sonntag, 12. Oktober 2014

Zur Abwechslung: Städtehüpfen

Viele Wochen sind wir durch fast menschenleere Landstriche gefahren, Natur und Einsamkeit pur. Das hat sich nun drastisch geändert. Wir sind im östlichen Teil Kanadas angelangt, dort wo die meisten Einwohner Kanadas leben. Hier liegen auch die grossen Städte des Landes: Toronto, Ottawa, Montreal und Quebec. Von Toronto geht unsere Reise in die Hauptstadt Ottawa. 


Ihre Gründung geht auf einen erbitterten Streit der Provinzen Ontario und Quebec zurück. Sie konnten sich nicht einigen wo die Hauptstadt der Föderation liegen soll – in Toronto oder in Montreal. Weder noch, hat die britische Königin damals beschieden und hat eine unbedeutende Kleinstadt an der Grenze der beiden Provinzen als der Sitz der Regierung bestimmt. 

Vielen Politikern hat diese Entscheidung gar nicht gefallen, doch gegen das Wort der Königin war nicht anzukommen. Amerikanische Journalisten spotteten damals, dass im Falle eines Angriffs auf Kanada die fremden Truppen keine Chancen hätten, weil sie die Hauptstadt in den Wäldern ja gar nicht finden würden. Doch über die Jahre erwies sich die Entscheidung der Monarchin als sehr weise. Heute ist Ottawa eine lebendige Stadt an der Sprachgrenze, auf der einen Seite des Grenzflusses wird Englisch, auf der anderen Französisch gesprochen. Symbolisch bildet sie so eine Brücke zwischen den Kulturen Kanadas. Die Regierungsgebäude, Parlament und das Oberste Gericht sind im anglo-gotischen Styl gebaut, sie sehen wie Schlösser irgendwo in England aus.

Die Provinz Quebec ist die einzige Provinz Kanadas mit Französisch als Amtssprache. Aber fast alle Einwohner sprechen auch Englisch. Die Aussprache der beiden Sprachen ist für uns etwas gewöhnungsbedürftig. Der „Indian Summer“ hat das Land nun vollends erreicht, das gelbe, orange und rote Laub der Ahornbäume strahlt fantastisch in der Herbstsonne. Aus der Ferne betrachtet sieht es manchmal aus, als ob die Wälder brennen würden.


 Wir besichtigen Montreal. Die Gassen der Altstadt sind mit Kopfsteinen gepflastert, und die Häuser und Kirchen erinnern an eine europäische Stadt. Natürlich fehlt ein moderner Teil mit Hochhäusern nicht. Hier ist es sogar möglich, unterirdisch zu wandern. Die Metrostationen und die unterirdischen Etagen der Geschäftshäuser sind mit Passagen verbunden, die eine Gesamtlänge von angeblich 35 Kilometern haben. Es sind nicht etwa nüchterne Gänge, nein, es ist alles vorhanden – Geschäfte, Restaurants, Cafés und vieles mehr, eine unterirdische Stadt sozusagen. Und es ist sicher vor allem im Winter oder beim schlechten Wetter sehr praktisch, nicht nur für die zahlreichen Passanten, sondern auch für die Obdachlosen. Sie fühlen sich, wie wir sehen, schon jetzt hier wohl.


Doch das wahre Juwel unter Kanadas Städten ist für uns eindeutig Quebec. Es ist auch kein Wunder, denn sie ist die älteste Stadt in Nordamerika und die einzige mit einer intakten Stadtmauer nördlich von Mexiko. Allein ihre Lage am Ufer des St. Lorenz-Stromes ist fantastisch und nicht ohne Grund gehört die Stadt zum Weltkulturerbe der UNESCO. Der St. Lorenz-Strom ist auch für grosse Kreuzfahrerschiffe schiffbar, sie können direkt im Hafen der unteren Stadt anlegen. Darum treffen wir hier - für diese Jahreszeit - erstaunlich viele Touristen. Über steile Gassen oder lange Treppen gelangt man in die obere Stadt mit ihrer riesigen, mit vielen alten Kanonen bestückten Festung. Sie wurde erbaut um den Schiffsverkehr am St. Lorenz-Strom zu kontrollieren und einer möglichen Invasion der USA vorzubeugen. Als wir an der Mauer entlang laufen, erschreckt uns plötzlich ein Kanonenschuss. Zum Glück ist kein Feind in Sicht, es ist nur die Mittagskanone. Alles in der Stadt ist vorbildlich renoviert und sauber, kleine Cafés und Restaurants säumen die Gassen. Französische Küche ist angesagt, ein Fastfood-Lokal sucht man hier vergebens. Trotz der schon fortgeschrittenen Jahreszeit belustigen Strassenkünstler und Musiker das Publikum.


 Noch etwas mehr als ein Tausend Kilometer trennen uns von Halifax, unserem Endziel. Der Herbst lässt die Nächte merklich kälter werden. Das stört uns nur wenig, unsere Schlafsäcke wurden ja schon im Himalaja erprobt. Nur das Aufstehen am Morgen verlangt etwas Überwindung, denn im Bus ist es dann fast genau so kalt wie draussen. Wenn es ganz schlimm wird, bieten sich als Alternative notfalls auch noch Motels an.


Freitag, 3. Oktober 2014

Das grosse Wasser

Nochmals zwei Tage im Zug und wir sind wieder zurück in Winnipeg, wo der Brummi auf uns wartet. Bei der Weiterfahrt Richtung Osten wird uns bewusst, dass Kanada - nach Russland - das grösste Land der Erde ist. Die Entfernungen sind riesig. Links und rechts der Strasse hat es Wälder ohne Ende, Orte gibt es wenige, dafür unzählige Seen, kleine und grosse. Wikipedia gibt ihre Anzahl in Kanada mit zwei Millionen an. Natürlich sind nicht alle so gross wie die fünf Grossen Seen, die Kanada mit den USA teilt. Als ersten von ihnen erreichen wir den Lake Superior. Er ist der grösste Süsswassersee der Welt, halb so gross wie die Schweiz. Hier von einem See zu sprechen ist allerdings etwas untertrieben, ein Meer wäre eine bessere Bezeichnung. Fast vier Tage fahren wir an seinem nördlichen Ufer entlang. 

Langsam kommen wir in ein Gebiet, wo Ahornbäume wachsen. Das Laub der Bäume fängt gerade an, sich zu verfärben. Es sieht schon jetzt fantastisch aus, die Einheimischen sagen uns aber, dass die wahre Pracht erst in einigen Tagen kommt. 



Auch am Lake Huron zieht der Herbst langsam ein. Wir nehmen hier eine Fähre, um uns die weite Anreise zu den Niagara-Wasserfällen ein wenig zu verkürzen. Zuerst haben wir etwas Mühe mit der Angabe unseres Reisezieles bei den Einheimischen. Mit „Niagara“ kann niemand etwas anfangen. Bald lernen wir, dass die richtige Aussprache „Najagra“ heisst und für uns erst noch  mit einer ungewohnten  Betonung. 


Und dann stehen wir da, vor uns stürzen gewaltige Wassermassen in die Tiefe. In bloss einer Sekunde würde diese Menge Wasser eine Million Badewannen füllen, erfahren wir im Visitors Centre. Wie auch immer, der Anblick verschlägt uns fast den Atem. Gewaltiges Donnern und Wassergischt erfüllen die Luft. Und diesmal haben wir sogar  Wetterglück – ein halbrunder Regenbogen spannt sich am blauen Himmel über den Hauptwasserfall. Wegen seiner halbrunden Form heisst er „Horseshoe Waterfall“. Die Grenze zwischen Kanada und den USA verläuft in seiner Mitte. Ein etwas “kleinerer“ Wasserfall liegt ausschliesslich auf amerikanischem Boden. Dorthin gelangen wir nach einer problemlosen Passkontrolle über eine grosse Brücke, die den Niagara Fluss unterhalb der Wasserfälle überspannt. 

Als ob der Blick auf die Wasserfälle schon nicht genug Attraktion wäre wird für die zahlreichen Touristen noch viel mehr geboten: In ein Regenponcho gekleidet können sie mit einem Schiff fahren, das sich mühsam gegen den reissender Strom bis zu der herabstürzenden Wasserwand wagt oder sie können zu Fuss erkunden, wie es hinter dem Wasserfall aussieht, auch ist es möglich die Fälle von einem Aussichtsturm oder sogar von einem Hubschrauber aus zu bewundern . Und wer dann genug von dieser Show hat kann sein Glück in einem Casino versuchen. Am Abend werden die Fälle farbig beleuchtet und das wollen wir uns nicht entgehen lassen. „Schade“, denken wir, „dass  heute nicht ein Freitag oder ein Sonntag ist“, dann würde sogar ein Feuerwerk geboten. Nach der Besichtigung müssen wir  zum Camping fahren und da lässt uns der Brummi im Stich. Kein einziges Licht funktioniert mehr und es ist eine dunkle Nacht. Ich versuche den Fehler zu finden, aber bei der Dunkelheit und auf der Schnelle gelingt es mir nicht. Dazu ist auf dem Parkplatz, wo wir stehen, das Parken nur bis Mitternacht erlaubt. Romy rettet die Situation und fragt bei der zuständigen Aufsichtsperson nach, ob wie hier übernachten dürfen. Nach Rücksprache mit dem Supervisor und nachdem unsere Autonummer für alle Fälle notiert wird, bekommen wir das o.k. So verbringen wir eigentlich ungewollt die Nacht nur etwa zweihundert Meter vom Wasserfall entfernt. Das Donnern des herabstürzenden Wassers erinnert mich an eine stark befahrene Autobahn aber sonst verläuft die Nacht ruhig. Am Morgen finde ich den Fehler relativ schnell – einen korrodierter Stecker an der Masseleitung.


Toronto und die zusammengewachsenen Vorstädte haben eine Ausdehnung von mehr als Hundert Kilometern. Durch diese Stadtwüste kämpfen wir uns durch, denn es gibt zur Abwechslung sehr viel Verkehr und auch Staus. Wir sind froh, als die Stadt hinter uns liegt, trotz den schönen Parks am Ufer des Lake Ontario und den vielen modernen Hochhäusern. Über Landstrassen fahren wir nun durch farbenprächtige Ahornhaine in Richtung Ottawa, der Hauptstadt Kanadas und freuen uns über die herbstliche Sonne und den fortschreitenden „Indiansummer“.